Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
Vom Netzwerk:
Libelle gesellte.
    Nach einigen Augenblicken wandte sich Frankie an ihre Tochter. »Ali, was soll ...?«
    »Schschtt. Hör zu.«
    Und dann kam es - ein atmendes Flüstern ertönte aus den Lautsprechern. Frankie sah neugierig ihre Tochter an, die wiederum Valenti beobachtete, der sich beim ersten Klang der hauchenden, von weither kommenden Flötentöne versteifte. Ali dachte schon, er wolle etwas sagen, doch statt dessen setzte er sich auf sein Sofa, lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Händen zurück und schloß die Augen.
    Er weiß etwas, dachte Ali. Am liebsten hätte sie ihn gleich danach gefragt - was es war, wer da spielte, woher die Musik kam - doch dann lehnte sie sich ebenfalls zurück und mahnte sich zur Geduld. Sie konnten immer noch reden, wenn die Kassette zu Ende war.
    Frankie verwunderte die Reaktion, die diese seltsame Kassette, die Ali am Abend zuvor aufgenommen hatte, bei Tony und ihrer Tochter hervorrief. Das klang so ganz nach einer dieser ›Umwelt‹-Platten, die in den siebziger Jahren so populär gewesen waren. Das Rauschen des Regens. Abenddämmerung am Seeufer. Ein Morgen in der Wüste. Dann hörte sie die Musik, die sie an Paul Horns Inside erinnerte; nur klang das hier nicht nach einer Querflöte. Dafür waren die Töne zu hauchig. Irgendwie hörte sich die Musik unwirklich an ...
    Sie lehnte sich ebenfalls auf dem Sofa zurück, fühlte eine leichte Benommenheit. Als sie die Lider schloß, tanzten Funken vor ihren Augen. Sie hatte noch nie viel Alkohol vertragen, doch dieses Schwebegefühl schien nicht von dem Wein herzurühren, den sie getrunken hatte. Es ist, als hätte ich etwas genommen, dachte sie und wunderte sich selbst, wie deutlich sie sich an dieses Gefühl erinnern konnte, denn ihre psychedelische Phase lag nun schon immerhin sechzehn oder siebzehn Jahre zurück. Meskalin, LSD - obwohl diese Empfindungen stärker gewesen waren. Dies hier war leichter, ein Schwebezustand, fast wie ...
    Sie setzte sich verwundert auf, als sich der Kassettenspieler mit leisem Klicken abschaltete. Das Band war zu Ende. Sie griff nach dem Weinglas, besann sich aber anders. Ihr Kopf brummte immer noch leicht.
    »Das ist schon eine Aufnahme«, bemerkte Valenti leise.
    »Du hast sie schon vorher gehört, stimmt’s? Nicht dieses Band, sondern ... ich meine die Musik?« fragte Ali ungeduldig.
    »Klar. Sehr oft.«
    »Woher kommt sie?«
    Valenti machte eine vage Handbewegung. »Von irgendwoher dort draußen in der Wildnis. Ich höre sie meist im Frühling oder Sommer. Vermutlich der Bewohner einer Hütte, der eine Flöte hat. Die Musik ist schön, nicht wahr?«
    Ali schüttelte den Kopf. »Nein, nicht nur schön. Sie ist irgendwie magisch. An ihr ist so etwas - Überirdisches, Weltraumhaftes.«
    Frankie merkte, daß sie nickte, und musterte ihre Tochter. Hatte Ali etwa schon angefangen, Drogen auszuprobieren? Großer Gott, hoffentlich nicht.
    »Nun ja«, erwiderte Valenti. »Sie ist anders, sicher. Aber magisch - davon spüre ich nichts.« Doch dann kam ihm das seltsame Mädchen wieder in den Sinn, das ein paar Tage zuvor aus dem Baum zu ihm heruntergesprungen war und sich neben ihn gesetzt hatte. Diese Augen in dem schmalen Gesicht hatten ihn in ihren Bann geschlagen und ihn dazu gebracht, sich nicht zu rühren, bis sie ihn wieder losließen. Und dann der Hirsch ... und das Gefühl, das die Musik in ihm erweckte ... Vielleicht wußte er nichts über Magie, aber um so mehr über ungewöhnliche Dinge.
    »Empfindest du nichts in deinem Innern, wenn du sie hörst?« fragte Ali.
    Valenti zuckte die Schultern. »Vermutlich ...«
    »Vielleicht sollten wir jetzt gehen«, meinte Frankie. »Es ist schon spät - bald elf.«
    Ali sah von ihre Mutter zu Valenti und nickte. »Okay«, sagte sie ohne große Begeisterung.
    »Wir unterhalten uns weiter darüber, wenn du das nächste Mal herüberkommst«, tröstete sie Valenti - und gleich fühlte Ali sich besser. Als er die Kassette aus dem Gerät nahm und sie ihr reichte, schüttelte sie den Kopf. »Nein, du kannst sie eine Zeitlang behalten, wenn du willst.«
    Valenti lächelte, und einen Moment lang zeigten seine Augen einen seltsamen Ausdruck.
    »Das ist großartig.« Und an Frankie gewandt: »Hören Sie, soll ich Sie noch ein Stück begleiten ...?«
    »Vielleicht bis zur Wegbiegung - damit uns der Buhmann nichts tut.«
    »Schön, ich hole mir nur noch eben den Mantel.«

    »Ali?« Frankie stand an der Tür im Zimmer ihrer Tochter. Ali saß auf dem Bett. Sie

Weitere Kostenlose Bücher