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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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Brenda gelesen, daß Streß Menschen veränderte, daß sie ein wenig seltsam wurden, aber bei Gott - daß dies so weit gehen könnte, hatte sie nirgendwo gelesen. Dooker zu erschießen, ergab doch überhaupt keinen Sinn!
    Aber was sonst? fragte eine innere Stimme. Ergab es mehr Sinn, wenn er sein Gewehr auf sie richtete? Oder gegen sich selbst?
    Brenda erschauerte. Geh hinaus oder hol Hilfe, sagte sie zu sich. Und tu es sofort. Doch auf dem Weg zum Telefon sah sie, wie Lance vom Grab wegging. Zuerst dachte sie, er komme ins Haus, aber er ging daran vorbei und war nicht mehr zu sehen. Sie zögerte, hörte, wie der Motor des Pick-up aufheulte und der Wagen sich auf der Straße entfernte. Ihre Entschlossenheit schwand, und erschöpft sank sie auf den Küchenstuhl und starrte gedankenverloren durch den schmuddeligen Raum.
    Mein Gott, sie hatten doch jetzt schon so wenig - gerade eben ihre Gesundheit und das Nötigste zum Leben. Warum mußte ihnen nun auch das noch genommen werden?

    Es erschien Lance nicht richtig, daß Dooker unter diesem Erdhaufen auf seinem Hinterhof liegen sollte. Es ergab einfach keinen Sinn. Dooker war doch kein Hund, der einfach nur irgendwo herumlag. Er war ein Macher. Der verdammte Köter war nie ruhig gewesen, hatte hier, hatte dort herumgestöbert. Hatte Kaninchen und Murmeltiere gejagt. Hatte sie im Nacken gepackt, einmal heftig geschüttelt und ihnen das Genick gebrochen. Hatte ihnen einen schnellen und leichten Tod beschert.
    Es war doch nicht möglich, daß ein Hund wie er tot sein sollte. Bestimmt war er nur wieder ausgebüchst - spielte eines seiner Spielchen mit seinem Herrn. Sah ganz so aus, als sollte Lance ihn suchen.
    Er nickte bestätigend und fuhr zu einem bestimmten Platz, wo beide viel Zeit zusammen verbracht hatten. Er lag an einer Seitenstraße, und in der Nähe floß ein Bach vorbei. Die Äste der Bäume hingen tief auf das Wasser hinunter, und es gab eine Menge Felder in der Nähe, mit vielen langsamen Murmeltieren, die nur darauf warteten, im Nacken gepackt zu werden.
    Die Räder des Wagens wirbelten eine dichte Staubwolke auf, die eine ganze Weile brauchte, ehe sie wieder in sich zusammensank. Genau da liegt das Problem, dachte Lance, während er im Rückspiegel die Staubwolke beobachtete. In Zeiten wie dieser hinterließ ein Mann wie er kaum mehr Spuren als eine solche Staubwolke. Fünf Minuten später, wenn der Staub sich gelegt hatte - wer zum Teufel konnte dann noch wissen, daß man jemals hier gewesen war?
    Als er die Abzweigung erreichte, bog er auf einen Pfad ein, der so zugewachsen war, daß er eher einer Wiese als einer Straße glich. Der Pick-up schaukelte durch die Schlaglöcher und ächzte dabei in allen Fugen. Am Ende des Weges stellte Lance den Motor ab, stieg aus und ging zum Bach hinunter. Er rief nach Dooker, wartete eine Weile und rief wieder nach dem Hund. Schließlich hockte er sich auf die Stoßstange des Wagens.
    Verdammt noch mal, diesmal war der Köter aber wirklich weit gelaufen. Wo mochte er sein? Lance überlegte. Dann kam ihm Buddy Treasure in den Sinn - und die seltsame Musik, die er beim Haus des Alten gehört hatte, als er den Plattfuß hatte. Sicher war Dooker dorthin gelaufen. Er war dieser verdammten Musik gefolgt. Verfolgte den Hirsch, der die verdammte Musik machte!
    Lance nickte. Er wendete den Truck und fuhr an French Line vorbei zum Treasure-Grundstück. Dort würde er Dooker bestimmt finden. Dooker, der der Musik nachjagte. Wie die Musik ihm nachgejagt war. Lance knirschte mit den Zähnen. Er wollte nicht darüber nachdenken, was die Musik mit ihm angestellt, welche Gefühle sie in ihm erweckt hatte, welche Vorstellungen, die ihn bis in seine tiefsten Träume verfolgten. Nein, darüber wollte er nicht nachdenken.

    Lance hielt vor dem Treasure-Grundstück an und suchte es mit den Augen ab. Ja, er suchte es regelrecht ab, anstatt es wie sonst nur mit einem raschen nervösen Blick zu streifen, wenn er daran vorbeifuhr. Es sah gut aus. Das Haus war instand gesetzt, alles wirkte jetzt hübsch und adrett. Dann bemerkte er den Schutthaufen im Vorgarten. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er vielleicht angeboten, ihn für ein paar Dollar wegzukarren. Zu einer anderen Zeit - und wenn es ein anderes Haus gewesen wäre.
    Er stieg aus dem Pick-up und horchte in die Stille. Nirgends eine Spur von Dooker, nirgends ein Zeichen, daß es hier Leben gab. Er kehrte zum Wagen zurück, betrachtete das Haus, die zerfallene Scheune und dahinter den Wald.

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