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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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Welt, auch nicht die Gottheiten oder Mysterien irgendwelcher Religionen, können die Menschen verändern und sie davon abbringen, so zu sein, wie sie sind. Das beweist zweifellos schon die Geschichte - selbst der geringe Teil davon, den wir kennen.«
    »Aber ...«
    »Wenn du noch einen weiteren Beweis brauchst«, fuhr Lewis fort, ohne Ali zu Wort kommen zu lassen, »dann bedenke einmal folgendes: Dem Mysterium stand einst die ganze Welt offen. Aber hat es deswegen weniger Kriege gegeben? Haben sich die Menschen bei Hungersnöten oder Seuchen gegenseitig geholfen?«
    »Und deshalb müssen Sie den Hirsch gefangenhalten?« fragte Bannon, gegen seinen Willen plötzlich neugierig geworden.
    »Es wäre richtiger zu sagen, daß wir ihn am Leben halten«, korrigierte ihn Lewis. »Allein könnte er in der weiten Welt nicht überleben. Unseligerweise ist die Zahl der Unseren hier in New Wolding geschrumpft. Wir sind zu wenige, um ihn hier festhalten zu können. Das Mysterium erscheint durch Tommys Musik und läuft jedesmal, wenn sie erklingt, weiter und weiter hinaus in die Welt. Das Mysterium braucht aber das Echo, das zu ihm zurückkehrt, wenn die Musik die Seele eines Mannes oder einer Frau berührt. Und die Echos, die zu ihm zurückkehren, sind nicht mehr gut. Sie machen das Mysterium immer wilder, treiben es weiter fort von seiner Erscheinung als Grüner Mann, hin zu der Erscheinung einer geistlosen Bestie. Und gleichzeitig gewinnt die Jagd immer mehr an Kraft, sie nährt sich, von diesen Echos. Eine Spirale, die immer tiefer nach unten führt ...«
    »Vielleicht ist es Zeit für ihn zu gehen«, sagte Ali. »Sie wissen doch, das Blatt wendet sich auch wieder. Vielleicht muß er jetzt gehen, um dann um so stärker zurückzukehren.«
    »Da spricht der Christ aus dir. Das Wunder von Christi Auferstehung von den Toten und seine Himmelfahrt.«
    Ali schüttelte den Kopf. »Ich denke, es ist eher heidnisch«, meinte sie mit einem kleinen Lächeln. »Ich denke da an Reinkarnation und diese Dinge.«
    »Ich glaube, ich bekomme allmählich Kopfschmerzen von dem allen«, erklärte Valenti. »Die ganze Sache verwirrt mich immer mehr, je länger ihr darüber redet.«
    »Die ganzen Jahre meiner Nachforschungen haben nichts anderes bewirkt«, nickte Lewis. »Manchmal denke ich, daß nur Mally die richtige Art hat, damit umzugehen. Sie sagt immer, man soll den Dingen ihren Lauf lassen. Was kommen soll, kommt ohnehin.«
    »Aber mir kommt sie viel aktiver vor«, hielt Ali dagegen.
    Lewis lächelte. »Also gut, manchmal sagt sie auch, daß es besser ist, etwas zu tun und den Dingen auf den Grund zu gehen, als nur an der Oberfläche zu schürfen und sich unnötig Sorgen zu machen.«
    »Es gibt einfach keine direkte Antwort darauf, nicht wahr?« sagte Valenti.
    »Warten Sie bis heute abend«, erwiderte Lewis. »Vielleicht finden Sie eine Antwort.«
    »Wird Mally auch dort sein?« fragte Ali.
    »Vielleicht. Sie kommt nicht jedesmal.«
    »Was ist aus Ackerly Perkin geworden?« fragte Bannon.
    »Die Welt führte Krieg, und er ist losgezogen, um ihn kennenzulernen.« Lewis schüttelte den Kopf. »Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.«
    »Und was ist mit dem anderen Perkin?« fragte Ali. »Dem aus England?«
    Lewis seufzte. »Ich weiß es nicht. Aber es wird spät. Vielleicht sollten wir etwas zu Abend essen und Ihre anderen Fragen für später aufsparen. Warten Sie doch damit, bis der Abend vorbei ist.«
    »Gut.« Ali sah sich um. »Brauchen Sie Hilfe beim Kochen?«
    »Das wäre schön«, nickte Lewis.
    Valenti sah zu Bannon hinüber, doch der versenkte sich wieder in sein Buch. Lewis und Ali machten sich daran, einen Salat zuzubereiten. Lewis hatte schon ein Stew auf den Ofen gestellt, und der Brotteig war bereits fertig. Als der Duft nach frischem Brot durch die Hütte zog, ging Valenti wieder zur Tür und betrachtete die Umgebung.
    Irgendwo dort oben auf dem Hügel, zwischen den nassen Bäumen, stand der Stein. Irgendwo im Wald ging das Mysterium um - als Hirsch, als Gehörnter Mann oder als Mann mit einem Geweih und einem Mantel aus grünen Blättern. Ehe er sich wieder drinnen an den Tisch setzte, fragte Valenti sich, ob das Mysterium auch manchmal die Gestalt eines Mädchens mit wirrem Haar voller Kletten und kleinen Zweigen annahm, das sich Mally nannte. Oder als alter Mann erschien, der allein in einer Hütte im Wald am Rande eines Dorfes wohnte, das auf keiner Karte verzeichnet war.
    Was zum Teufel würden sie heute abend erfahren?

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