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Grünmantel

Grünmantel

Titel: Grünmantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles de Lint
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ihn. Sein richtiger Name war Ackerly Perkin. Er hat vor ungefähr fünfzig Jahren dieser Gegend den Rücken gekehrt.«
    »So lange ist Mally schon hier?« Ali machte große Augen.
    »Jedenfalls kenne ich sie schon so lange. Aber ich habe das Gefühl, daß sie schon immer hier ist.«
    »Aber sie sieht doch so alt aus wie ich.« Ali konnte kaum glauben, daß das wilde Mädchen fünfzig Jahre oder gar noch älter sein sollte.
    »Sie sieht heute nicht älter aus als an dem Tag, als ich sie zum ersten Mal sah«, behauptete Lewis.
    »Das ist doch nicht möglich.« Ali schüttelte ungläubig den Kopf.
    Bannon nickte beifällig.
    »Ich fürchte, vieles an Mally erscheint unmöglich«, meinte Lewis.
    »Was ist mit diesem Perkin?« fragte Valenti, dem die Richtung des Gesprächs unangenehm wurde. Im Gegensatz zu Bannon hatte er das Flötenspiel gehört, hatte den Hirsch gesehen - und wußte daher, daß hier in der Gegend etwas Seltsames vor sich ging. Aber einfach so ließ sich das Älterwerden nun auch nicht aufhalten, es sei denn, man war tot. »Was war mit dem Kerl? Und wieso nennt Mally ihn den Dunklen Mann?«
    »Sie sah in ihm eine Gefahr«, erklärte Lewis, »obwohl ich nicht genau weiß, welche Art von Gefahr er verkörperte. Entweder war es ihm möglich, das Mysterium als eine Illusion zu enttarnen - was, und da werden Sie mir zustimmen, ihm einen großen Teil seiner Macht über unseren Geist rauben würde -, oder das Mysterium war real, und Perkin war in der Lage, Illusionen zu erzeugen, die das Mysterium um die Welt hetzten wie die legendäre Wilde Jagd die Seelen der Verstorbenen. Aber noch seltsamer ist, daß es da einen zweiten Perkin in Wealdborough gab, der - auf seine Weise - einerseits ebenso geheimnisvoll wie Ackerly Perkin und andererseits genau sein Gegenteil war. Um auf die Illusionen zurückzukommen - der ursprüngliche Perkin in England hatte keine, Ackerly Perkin dagegen zu viele.« Lewis bemerkte den verwirrten Ausdruck in den Mienen seiner Gäste und hob entschuldigend die Schultern. »Verzeihen Sie mir, wenn ich das nicht so gut erklären kann, aber das ganze Thema hat mir selbst viel Kopfzerbrechen bereitet, und ich habe es immer noch nicht ganz verarbeitet. Bei meinen Nachforschungen bin ich vielen falschen Spuren gefolgt -, so vielen, daß ich selbst nicht mehr genau weiß, welche nun Illusionen sind und welche nicht.«
    »Sie wollen sagen, der Hirsch ist nicht real?«
    »Er wirkt sehr real«, erwiderte Lewis.
    Valenti dachte daran, wie der Hirsch am Abend zuvor Shaws Wagen angegriffen hatte. »Also, ich muß schon sagen!«
    »Aber irgend etwas verfolgt den Hirsch - und genau das verwirrt mich im Moment am meisten. Diese Jagd - ist sie ein natürliches Phänomen? Was ich damit sagen will: Wenn der Hirsch nur als mythisches Wesen existiert, läßt sich daraus folgern, daß die Jagd immer hinter ihm herhetzen wird? Oder wurde die Jagd nur aus Ackerly Perkins Illusionen geboren und auf den Hirsch angesetzt? Oder hetzt nur mein Bestreben, das Geheimnis des Hirschs zu lüften, die Hundemeute auf ihn? Sind meine Fragen die Hunde, die ihn verfolgen?«
    »Ich dachte, der Hirsch war auch der Jäger?« meinte Ali.
    »Einige Kulturen haben ihn so dargestellt«, antwortete Lewis.
    Valenti fiel wieder ein, was er bei der ersten Begegnung mit dem Hirsch gesehen hatte. Das Tier wurde von Gestalten verfolgt, die zuerst wie Hunde, dann aber wie Mönche oder Priester aussahen ... »Warum ist es so wichtig, das herauszufinden?« fragte er. »Ich meine, entweder ist eine Sache real, oder sie ist es nicht.«
    »So einfach liegen die Dinge hier nicht«, entgegnete Lewis. »Bis zu einem gewissen Grad haben wir das Mysterium beherrscht, haben es davon abgehalten, jenseits dieser Wälder herumzustreifen, denn wenn es frei in der Welt herumlaufen könnte ...« Er schwieg und suchte nach den richtigen Worten. »Es gibt zu viele Mißstände auf der Welt, zu vieles liegt im argen. Denken Sie doch nur daran, daß ich Ihnen sagte, das Mysterium sei das Spiegelbild dessen, was es in den Herzen derer vorfindet, die mit ihm in Berührung kommen ...«
    Einen Moment lang herrschte betroffenes Schweigen, als die Gäste seinen Gedankengang zu Ende führten.
    »Blattschuß«, murmelte Valenti.
    Ali schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht hinnehmen. Was ist, wenn Sie damit falsch liegen, Mister Datchery? Was ist, wenn schon die Gegenwart des Hirschs genügt, um jeden Menschen sanfter und umgänglicher zu machen?«
    »Keine Macht der

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