Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
Vom Netzwerk:
Getroffenwerden eines Sowjetmenschen war kein Problem.
     Kremp drückte das so aus: »Einer weniger, warum nicht?« (Zeugin Kremer). Nun gab |260| es aber noch eine zusätzliche Komplikation: wer bewachte den Sowjetmenschen, während deutsches Leben im Bunker (wenn auch
     nur fiktiv) geschützt war? Konnte man ihn allein lassen, ihm die Möglichkeit geben, unbewacht jenen Zustand zu erstreben,
     der jedermann bekannt, wenn auch nicht vertraut ist: der Freiheit? Pelzer löste das Problem rigoros. Er weigerte sich glatt,
     den Luftschutzraum auch nur zu betreten, bestritt – was auch bei den städtischen Behörden inoffiziell als unbestreitbar galt
     –, daß »er auch nur den geringsten Schutz bietet. Das ist doch nur ein Sarg«, blieb während der Angriffe in seinem Büro und
     garantierte dafür, daß der Sowjetmensch nicht »so ohne weiteres« den Zustand der Freiheit anstreben könnte. »Schließlich bin
     ich Soldat gewesen und kenne meine Pflichten.« Leni aber, die zeitlebens keinen Luftschutzbunker oder Keller betreten hat
     (auch darin finden wir eine Übereinstimmung zwischen ihr und Pelzer), sagte, sie »würde einfach auf den Friedhof gehen und
     die Entwarnung abwarten«. Später lief es darauf hinaus, daß »jeder einfach irgendwo hinging, und da halfen auch die Proteste
     dieses lächerlichen von den Driesch nichts, und seine schriftlichen Beschwerden ließ das Walterchen einfach von einem guten
     Freund abfangen« (Grundtsch). »Das war ja absurd mit diesem Luftschutzkeller bei der Friedhofsverwaltung, eine Erstickungskammer,
     sonst nichts, nur eine Fiktion, ein normaler Keller, durch ein paar Zentimeter Beton verstärkt, da wäre sogar eine Brandbombe
     durchgeschlagen.« Folge: Bei Fliegeralarm trat Anarchie ein: weitergearbeitet werden durfte nicht, der Sowjetmensch durfte
     nicht aus dem Auge gelassen werden, und alle anderen liefen »irgendwohin«. Pelzer blieb in seinem Büro, übernahm die Garantie
     für Boris, blickte ansonsten auf die Uhr und beklagte die verstreichende Arbeitszeit, die auf seine Kosten ging und nichts
     einbrachte. Da außerdem von den Driesch Pelzers Verdunkelungsjalousien |261| ständig monierte, machte er »später einfach das Licht aus – und Dunkelheit herrschte über den Gewässern« (Grundtsch).
    Was geschah nun in dieser Dunkelheit?
    Fanden schon Anfang 44, als Pelzer schon Blut schwitzte, »Ringkämpfe« zwischen Boris und Leni statt?
    Nach der Aussage der einzigen Zeugin, die von Leni in deren intimes Leben eingeweiht wurde – Margret –, läßt sich folgender
     Stand der erotischen Beziehungen zwischen Boris und Leni ziemlich genau rekonstruieren. Leni verbrachte nach der ersten Handauflegung
     jetzt oft die Abende bei Margret, wohnte schließlich sogar bei ihr und kam wieder einmal in »eine gesprächige Phase« – so
     wie Boris Bogakov gegenüber in eine »äußerst gesprächige Phase«. Zwar hat Boris Bogakov den erotischen Stand der Dinge nicht
     so genau erzählt wie Leni Margret, und doch ergibt sich, vergröbert man das Sachlichkeitsraster ein wenig, eine synchrone
     Darstellung. Pelzer jedenfalls, dessen Realitätssinn bis hierhin unbestritten ist, muß einen erheblichen Realitätsverlust
     erlitten haben, wenn er schon Anfang 1944 »Blut schwitzte«. Erst etwa im Februar 44 – sechs Wochen nach der Handauflegung
     – fiel das entscheidende Wort! Leni konnte Boris vor der Toilette rasch zuflüstern: »Ich liebe dich«, und er flüsterte rasch
     zurück: »Ich auch.« Diese grammatikalisch falsche Verkürzung muß man ihm verzeihen. Er hätte natürlich sagen müssen: Ich dich
     auch, aber möglicherweise hätte ihn das Du sehr an das »Du mich auch« erinnert. Jedenfalls: Leni verstand, obwohl »gerade
     in diesem Augenblick das verdammte Salutschießen einen Höhepunkt erreichte« (Leni nach Margret). Ungefähr Mitte Februar kam
     es zum ersten Kuß, der beide in Ekstase versetzt. Das erste »Beiwohnen« (Lenis Ausdruck, durch Margret verbürgt) bzw. die
     erste »Einkehr« (Bogakovs Ausdruck) fand nachweislich erst am 18. März statt, anläßlich eines |262| Tagesfliegerangriffs, der von 14.02 bis 15.18 dauerte und bei dem nur eine einzige Bombe fiel.
    Nun muß hier Leni von einem naheliegenden, aber völlig unbegründeten Verdacht freigesprochen werden, von dem Verdacht des
     Platonismus in Eroticis. Sie hat die unvergleichliche Direktheit rheinischer Mädchen (ja, sie ist Rheinländerin, sogar eine
     durch Frau Hölthohne »diplomierte«

Weitere Kostenlose Bücher