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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Rheinländerin, und das will was heißen), die, wenn sie jemand gern haben oder gar das Gefühl,
     an den Richtigen geraten zu sein, sofort zu allem und zu den »kühnsten Zärtlichkeiten« bereit sind, auch ohne kirchliche oder
     staatliche Lizenzen abzuwarten. Nun waren die beiden nicht nur verliebt, sie waren »von Liebe ergriffen« (Bogakov), und Boris
     spürte Lenis ungeheure Sinnlichkeit, die er Bogakov gegenüber als »sie ist bereit, bereit – und es ist da ein – ein unglaubliches
     Entgegenkommen« bezeichnete. Es kann als sicher vorausgesetzt werden, daß die beiden möglichst bald und möglichst oft einander
     beiwohnen bzw. beieinander einkehren wollten, nur: die Umstände erforderten eine Vorsicht, wie sie vergleichsweise etwa ein
     Liebespaar anwenden müßte, das aus entgegengesetzter Richtung über ein Minenfeld von je einem Kilometer Breite aufeinander
     zuläuft, um sich auf drei oder vier minenfreien Quadratmetern miteinander hin-, aufs »Kreuz zu legen« oder den Ringkampf zu
     vollführen.
     
    Frau Hölthohne drückte das so aus: »Diese beiden jungen Menschen strebten einfach aufeinander zu, mit raketenhafter Geschwindigkeit,
     und es war lediglich der Selbsterhaltungstrieb oder noch stärker der Trieb, den anderen zu erhalten, der sie vor unüberlegten
     Handlungen bewahrte. Grundsätzlich bin ich gegen ›Verhältnisse‹. Aber unter den gegebenen historischen und politischen Umständen
     hätte ich den beiden Ausnahmebedingungen zugebilligt, |263| und gegen meine moralischen Prinzipien hätte ich ihnen gewünscht, sie hätten miteinander in ein Hotel oder wenigstens einen
     Park, meinetwegen in einen Hausflur oder was gehen können – im Krieg kommen ja sogar verhältnismäßig vulgäre Formen und Orte
     für ein Tête-à-tête wieder zu Ehren – damals , das muß ich hinzufügen, wäre mir ein Verhältnis unehrenhaft vorgekommen, heute bin ich da viel fortschrittlicher.«
     
    Margret wörtlich: »Leni sagte zu mir: ›Weißt du, ich sehe überall, überall das Schild: Vorsicht Lebensgefahr!‹ Und außerdem
     müssen Sie wissen, daß ja auch die Verständigungsmöglichkeiten gering waren. Es war schon doll, wie genau die Leni wußte,
     daß sie noch für eine Weile die Initiative in der Hand halten mußte – allen Konventionen zum Trotz, an die ich mich sogar
     damals noch hielt. Ich hätte doch nie von mir aus einen Mann angequatscht. Und es gab ja nicht nur Liebesgeflüster auszutauschen,
     sondern die beiden mußten doch auch voneinander was wissen, was erfahren. Es war schon ungeheuer schwierig, einmal miteinander
     auch nur für eine halbe Minute allein zu sein. Später hat Leni einfach zwischen die Toilette und den Torfballen einen Vorhang
     aus Sackleinen gehängt, lose natürlich, mit einem krummgeschlagenen Nagel dran, mit dem man den Vorhang notfalls einhängen
     konnte, so daß eine kleine Kabine entstand, und da konnten sie sich dann gelegentlich mal ganz kurz über die Wange streicheln,
     nen Kuß geben, und es war schon eine Sensation, wenn sie ›Mein Liebling‹ flüstern konnte. Was gabs da alles mitzuteilen! Herkunft,
     Gemütslage, die Zustände im Lager, Politik, Krieg, Essen. Natürlich hatte sie auch geschäftlich oder beruflich mit ihm zu
     tun, mußte ihm ja die fertigen Kränze rüberbringen, und diese Übergabe dauerte vielleicht eine halbe Minute, von denen sie
     vielleicht zehn Sekunden lang sich rasch was zuflüstern |264| konnten. Manchmal hatten sie auch, ohne daß sies arrangieren mußten, gemeinsam in Pelzers Büro zu tun, wenn Leni ihm den Blumenverbrauch
     diktierte oder im Schleifenschrank was nachsehen mußte. Nun, das gab dann mal eine Extraminute. Sie mußten sich doch auch
     mit Abkürzungen verständigen, aber erst doch über die Abkürzungen verständigen. Wenn Boris sagte ›zwei‹, dann wußte Leni, daß an diesem Tag im Lager zwei gestorben waren. Und
     dann verloren sie natürlich viel Zeit mit sachlich überflüssigen, bei Verliebten aber notwendigen Fragen, wie ›Liebst du mich
     noch?‹ und so, und auch das mußte man abkürzen. Sagte Boris zum Beispiel: ›Immer noch – wie ich?‹, so wußte Leni, daß das
     hieß: ›Liebst du mich immer noch, wie ich dich liebe?‹, und sie konnte rasch ›ja, ja, ja‹ sagen – damit war ja nicht viel
     Zeit verloren. Dann mußte sie natürlich hin und wieder ein paar Zigaretten springen lassen, um den beinamputierten Nazi –
     ich weiß nicht mehr, wie er hieß – freundlich zu stimmen,

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