Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
geschüttelt, später auch die Leni, als sie nach dem Zweiten anfingen, sich ein eigenes
kleines Lager anzulegen, das sie ihr Kapital nannten. Da mal eine Büchse Schweineschmalz, da eine Packung Zigaretten – dabei
waren wir alle doch viel zu nervös, um richtig darauf zu achten. Die Leni hat doch am Zweiten abends ihr Baby bekommen, und
sie wollte es – das kann ich ja verstehen – nicht in einer Gruft zur Welt bringen, und ihr heiliger Joseph wollte das auch
nicht. Die sind also über den zerbombten Friedhof in die Gärtnerei, Leni schon in den Wehen, Margret mit den Medikamenten,
und dann haben sie ihr aus Torf und alten Decken und Strohmatten da ein Lager gemacht, und sie hat ihr Kind da gekriegt, wo
es wahrscheinlich gezeugt worden ist. Es war ein voll ausgetragener, siebenpfündiger Junge, und wenn er am 2. März geboren
worden ist, so muß er doch nach Adam Riese um den 2. Juni herum gezeugt worden sein – und Sie finden um diese Zeit keinen
einzigen Tagesangriff, keinen! Und es wurde auch – das kann ich an Hand meiner Lohnlisten beweisen – an diesem Tag keine Nachtschicht
gemacht, erst recht nicht von Boris – das bedeutet doch, daß sie am hellichten Tag irgendeine Gelegenheit wahrgenommen haben
müssen. Nun, gut – es ist ja vorüber, aber von Sowjetparadies kann gar keine Rede sein. Sie hätten den Friedhof nach dem Angriff
am Zweiten sehen müssen: abgeschlagene Engels- und Heiligenköpfe, aufgewühlte Gräber, mit und ohne Särge, wie Sies wünschen,
und wir total erschöpft von der elenden lebensgefährlichen Schlepperei und Fahrerei unserer Beute aus der Schnürergasse –
und am Abend dann noch die Geburt! Die ging übrigens rasch und glatt. Von wegen Sowjetparadies! Wissen Sie, wer der einzige
war, der uns das Beten wieder gelehrt hat: dieser Sowjetmensch! Ja. Beten hat er uns gelehrt. Ein großartiger Junge, das sage
ich Ihnen, und wenn er auf mich gehört hätte, lebte er |335| noch. Das war doch Irrsinn, gleich am siebten nachmittags mit den Weibern und Kindern in die Stadt zu ziehen, mit diesem beschissenen
deutschen Landserausweis in der Tasche und sonst nichts. Der Junge hätte noch monatelang da in der Gruft hocken, seinen Kleist,
seinen Hölderlin und was weiß ich lesen können, sogar Puschkin hätte ich ihm besorgt – bis er einen echten oder gefälschten
Entlassungsschein hätte vorweisen können. Es wurden doch im Sommer schon Landwirte aus den amerikanischen Lagern entlassen,
und was ihm fehlte, war nichts weiter als ein ordentlicher englischer oder amerikanischer Entlassungsschein. Daran haben die
Weiber nicht gedacht, die waren ganz vom Friedenstaumel ergriffen und von reiner Lebensfreude, aber dazu wars eben noch ein
bißchen zu früh. Und von wegen, da monatelang abends am Rhein sitzen und nachmittags, mit dem Kind, mit diesen Hoyserrangen
und dem ewig lächelnden Opa Gruyten. Der Junge könnte heute noch am Rhein sitzen oder an der Wolga, wenn er gewollt hätte.
Das wars nämlich, was ich mir, bevor ich Anfang Juni offiziell auftauchte, besorgte: einen Entlassungsschein, auf meinen Namen,
mit einer richtigen Gefangenennummer, dem Stempel des Camps – denn unser Gewerbe gehört ja nun mal zur Landwirtschaft –, das
war ganz logisch und korrekt, und zu tun gabs wahrhaftig genug in meinem Beruf, ich meine, es brauchte nicht mal gestorben
zu werden, es war genug gestorben worden – und das mußte doch alles irgendwie unter die Erde. Daran haben weder die Lotte
noch die Margret mit ihren Beziehungen gedacht, dem Jungen einen regelrechten Entlassungsschein zu besorgen – das hätte die
Margret nur ein Wippen mit der Hüfte gekostet, und die Lotte hätte nur dran denken müssen, mit all ihren Stempeln und Formularen
und Beziehungen. Es war doch krasser Leichtsinn, den Jungen nach Mai oder Juni nicht zu legalisieren, und wenn er sich Friedrich |336| Krupp hätte nennen müssen. Nun, ich hätte mir das was kosten lassen – ich habe diesen Jungen nicht nur gern gehabt, ich habe
ihn geliebt, und Sie mögen lachen: er, er hat mich gelehrt, daß das alles Stöz ist von wegen Untermenschen und so. Die Untermenschen,
die hockten hier.« Waren Pelzers Tränen echt? Er hatte noch nicht einmal einen Whisky long ganz ausgetrunken, als sich Tränen
in seinen Augen zeigten, die er mit einer scheuen Bewegung aus seinen Augen wegstrich. »Und bin ich etwa schuld am Tod von
Lenis Vater? Ich? Muß man mich deshalb meiden wie
Weitere Kostenlose Bücher