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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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verziehen haben. Lenis Vater ist tödlich verunglückt, beim Ausschlachten der
     Trümmer des früheren Gesundheitsamtes. Ich habe niemals bezweifelt, daß diese Arbeit gefährlich, sogar lebensgefährlich sein
     konnte, ich habe Gefahrenzulage gegeben bzw. den Festmeterpreis erhöht, was praktisch einer Gefahrenzulage gleichkam, und
     ich habe den alten Gruyter gewarnt, als er |341| anfing, selbst noch mit dem Schweißapparat herumzufuhrwerken, und wie, ich frage Sie, wie konnte ich ahnen, daß er so wenig
     Gefühl für Statik hatte, daß er sich selbst sozusagen den Boden unter den Füßen wegschweißen und acht Meter tief in die Trümmer
     stürzen würde? Mein Gott, der war doch ein Mensch vom Bau, der hatte doch seinen Ingenieurtitel, der hat doch zehnmal mehr
     Stahlträger in seiner Firma verarbeitet, als ich habe ausschlachten lassen in fünf Jahren – wie konnte ich denn wissen, daß
     der sich selbst sozusagen in den Abgrund schweißen würde? Konnte ich das ahnen, ist das meine Schuld? Wußte nicht jeder, daß
     es eine riskante Sache ist, in einer zertrümmerten Stadt Stahlträger aus zerbombten Betonkästen rauszuschweißen, und habe
     ich nicht dieses Risiko entsprechend bezahlt? Und, offen gestanden, nicht einmal dabei, beim Einsammeln, Raushauen oder Abschweißen
     von Stahlträgern, erwies sich der fast mythische Baumensch Gruyten als sehr geschickt, nicht einmal als theoretisch technisch
     informiert – ich habe ein bißchen bei ihm zugelegt der Leni wegen, deren Schicksal mit ihrem Boris mir nun doch naheging.«
    Pelzers Tränen strömten nun so dicht, daß an ihrer physikalischen Echtheit zu zweifeln frevelhaft gewesen wäre, während ihre
     emotionelle Echtheit zu begutachten über des Verf. Zuständigkeit geht. Nun auch mit leiser Stimme, sich am Whiskyglas festhaltend,
     um sich blickend, als wäre ihm sein Hobbyraum, seine Bar, die Kranzsammlung im benachbarten Raum fremd: »Es war schrecklich,
     regelrecht aufgespießt von einem Bündel von Moniereisen, das da aus einem Betonplacken rausragte, durchbohrt, nicht zerfetzt,
     sondern eben durchbohrt, viermal durchstochen am Hals, am Unterleib, durch die Brust und noch einmal durch den rechten Oberarm,
     und – es war schrecklich, schlimm wars – lächelnd. Immer noch lächelnd – verrückt, wie ein gekreuzigter Wahnsinniger |342| sah er aus. Wahnsinn. Und mir daran die Schuld zu geben! Und« (Zögern in P.s Stimme, Qual in seinen Augen, zitternde Hände.
     Der Verf.) »und der Schweißapparat hing zischend, spuckend, kochend an dem Rest des überstehenden Trägers, den Gruyten abgeschweißt
     hatte. Es war ja Irrsinn, das Ganze, einen Monat vor der Währungsreform, wo ich gerade dabei war, meine Stahlträgersammlung
     einzustellen – es war ja auch mein Reichsmarkkapital restlos verbraucht. Natürlich habe ich nach diesem Unfall sofort das
     ganze Unternehmen liquidiert, und wenn die Weiber sagen, das hätte ich getan, weil ich sowieso hätte Schluß damit machen wollen,
     so ist das auf eine teuflische Weise unwahr: ich sage Ihnen, ich hätte auch Schluß damit gemacht, wenns Mitte 46 gewesen wäre.
     Aber beweisen Sie mal ein – ›Hätte, Wenn‹, beweisen Sie das. So wies nun war, faktisch, einen Monat vor der Währungsreform
     – so wars nun mal, und ich saß da, den Haß der Weiber im Nacken und den Hohn im Gesicht wegen meines ständig weiterrostenden
     Schrottberges, der nun noch fünf Jahre lang dort lag. Und weil der alte Gruyten doch nicht versichert war, ich hatte ihn doch
     als freien Mitarbeiter engagiert, nicht als Arbeiter oder Angestellten, sondern sozusagen als Vertragsfirma, habe ich mich
     erboten, Leni und der Lotte freiwillig eine kleine Rente zu zahlen: nichts, nichts – die Lotte hat hinter mir hergespuckt,
     als ich einmal da war. ›Blutsauger‹ hat sie geschrien und ›Kreuzigungsscherge‹ und Schlimmeres. Dabei habe ich ihr das Leben
     gerettet, in diesem Sowjetparadies in den Grüften, ich habe ihr eigenhändig den Mund zugehalten, als sie bei der Plünderung
     in der Schnürergasse plötzlich anfing, wie verrückt sozialistische Parolen herauszuschreien. Ich habe mich mit ihren Blagen
     rumgeschlagen, habe diesen raffinierten kleinen Hunden meine eigenen Kippen als frisch gedrehte Zigaretten abgekauft, als
     wir Ende Februar da in den Engpaß |343| gerieten, in unseren Grüften – da haben wir doch am Zweiten fast sieben Stunden lang zusammengehockt und uns aneinandergeklammert,
     zähneklappernd, und

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