Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Linie, sondern als Zeichen für einen wirklich
vorhandenen Fluß erkannt. Also. Das Experiment gelang: Leni lernte Noten lesen, mühsam, widerstrebend, oft vor Wut weinend,
aber sie lernte es – und da Schwester Cecilia von Lenis Vater ein gutes Sonderhonorar bekam, das in die Kassen des Ordens
floß, fühlte sie sich verpflichtet, Leni »auch etwas beizubringen«. Es gelang ihr, und: »Was ich an ihr bewunderte: sie erkannte
sofort, daß Schubert ihre Grenze war – Versuche, darüber hinauszugehen, mißlangen so kläglich, daß sogar ich ihr riet, innerhalb
ihrer Grenzen zu bleiben, obwohl ihr Vater |38| darauf gedrungen hatte, sie müsse Mozart, Beethoven und so spielen.«
Zur Haut von Schwester Cecilia noch eine Bemerkung: es waren noch milchige Stellen zu erkennen, weichweiß, nicht ganz so trocken;
der Verf. gesteht freimütig, daß er in sich den möglicherweise frivolen Wunsch verspürte, mehr von der Haut dieser äußerst
liebenswürdigen zölibaren Greisin zu sehen, mag ihm auch dieser Wunsch den Verdacht der Gerontophilie einbringen. Leider wurde
Schwester Cecilia, nach einer für Leni wichtigen Mitschwester gefragt, ausgesprochen eisig, fast abweisend.
Es kann hier nur angedeutet werden, was möglicherweise im Laufe des Berichts bewiesen wird: daß Leni ein verkanntes Genie
der Sinnlichkeit ist. Leider lief sie lange Zeit unter einer Kategorie, die so bequem ist, daß sie gern verwendet wird: dumme
Pute. Der alte Hoyser gab sogar zu, Leni heute noch in diese Kategorie einzustufen.
Nun sollte man meinen, Leni, die Zeit ihres Lebens eine großartige Esserin war, sei eine vorzügliche Kochschülerin gewesen
und Haushaltskunde habe ihr Lieblingsfach sein müssen; keineswegs: der Kochunterricht, obwohl am Herd und Küchentisch, unter
Anwendung von riechbaren, faßbaren, schmeckbaren, sichtbaren Materialien gelehrt, kam ihr (wenn der Verf. einige Bemerkungen
von Schwester Cecilia richtig deutet) abstrakter vor als die Mathematik, so unsinnlich wie der Religionsunterricht. Es ist
schwer festzustellen, ob an Leni eine ausgezeichnete Köchin verlorengegangen ist, noch schwerer festzustellen, ob die schon
metaphysische Angst von Nonnen vor Gewürzen Leni das zubereitete Essen im Kochunterricht als zu »laff« erscheinen ließ. Daß
sie keine gute Köchin ist , ist leider unbestreitbar; einzig Suppen gelingen ihr hin und wieder, auch Nachspeisen, außerdem ist sie – was keineswegs
selbstverständlich ist – eine |39| gute Kaffeeköchin, und sie war eine liebevolle Babyköchin (bezeugt durch M. v. D.), aber ein regelrechtes Menü würde sie nie
zustande bringen. Wie das Schicksal einer Sauce von einer so gesetzlosen wie ungesetzmäßigen raschen Handbewegung abhängen
kann, mit der jemand irgendeine Zutat hineingibt, so scheiterte (oder besser gesagt mißlang glücklicherweise) Lenis religiöse
Erziehung vollständig. Wenn es um Brot oder Wein ging, um Umarmungen, Handauflegen, wenn Irdisch-Materielles im Spiel war,
hatte sie keine Schwierigkeiten. Bis auf den heutigen Tag macht es ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten, daran zu glauben,
daß jemand, indem man ihn mit Speichel bestreicht, geheilt werden kann. Aber wer bestrich schon jemand mit Speichel? Sie heilte
nicht nur den Sowjetmenschen und ihren Sohn mit Speichel, durch bloßes Handauflegen versetzte sie den Sowjetmenschen in Glückseligkeit
und beruhigte sie ihren Sohn (Lotte und Margret). Wer aber legte schon jemand die Hand auf? Was war das für ein Brot, das
man ihr gab, als sie die Erste Heilige Kommunion empfing (die letzte kirchliche Handlung, an der sie teilnahm), und wo, wo
verflucht noch einmal blieb der Wein? Warum gab man ihn ihr nicht? Gefallene Frauen und so weiter, die ziemlich vielen Frauen,
mit denen der Sohn der Jungfrau da umging, das alles gefiel ihr außerordentlich und hätte sie ebenso in Verzückung versetzen
können wie der Anblick des Sternenhimmels.
Man kann sich denken, daß Leni, die zeitlebens ihre frischen Brötchen am Morgen so liebte, sich um derentwillen sogar dem
Spott der Nachbarschaft aussetzte, mit heftigem Begehren dieser Erstkommunionsfeier entgegensah. Man muß wissen, daß Leni
auf dem Lyzeum vom Empfang der Erstkommunion ausgeschlossen worden war, weil ihr während des Vorbereitungsunterrichts mehrmals
die Geduld riß und sie den Religionslehrer, einen |40| damals schon älteren weißhaarigen, sehr asketischen Menschen, der leider seit
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