Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
nun, ohne noch mehr Umschweife zu machen, auf das äußerst heikle Thema kommen, das selbst dann nichts von
seiner Peinlichkeit verliert, wenn ich Sie mir als eine moderne und aufgeschlossene Frau vorstelle, die verheiratet war und
nicht ganz unvertraut mit gewissen, noch zu erwähnenden Details? Nun, ich bin auch einmal ›Mediziner‹ gewesen, wenn auch nie
Arzt geworden; aus durch Kriegsumstände bedingten Gründen bin ich – nicht nur aus diesen, auch aus eingestandener Examensangst,
die dem Vorphysikum galt –, bin ich im Sanitätsdienst hängengeblieben, habe dann so viel Wissen und Erfahrung in deutschen
und russischen Lazaretten gesammelt, daß ich, im Jahre 1950 fünfunddreißigjährig aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen,
mich leichtfertigerweise als Arzt ausgab, als solcher auch mit Erfolg praktizierte, dann aber, 1955 als Hochstapler etc. verurteilt,
einige Jahre in Haft verbrachte, bis ich auf Intervention |475| von Prof. Dr. Kernlich, mit dem ich schon im Jahre 1937, damals noch Student, zusammengearbeitet hatte, vorzeitig entlassen,
bei ihm Aufnahme und Arbeit fand; dies im Jahre 1958. Ich kenne also das Leben eines Menschen, der mit einem Makel behaftet
ist. Übrigens ist mir während meiner immerhin fünfjährigen ›ärztlichen‹ Praxis nicht ein nachweisbarer Fehler unterlaufen.
Nun wissen Sie, mit wem Sie es zu tun haben – das wenigstens ist heraus. Wie nun bringe ich das andere heraus? Ich will versuchen, den Stier bei den Hörnern zu packen! Ihre
Freundin Margret war in der Genesung so weit fortgeschritten, daß man in sechs bis acht Wochen durchaus an eine Entlassung
hätte denken können. Jeder Besuch strengte sie an, auch die Besuche des undurchsichtigen, aber doch sympathischen Herrn, der
sie in letzter Zeit häufiger besuchte (!!! – vom Verf.), in dem wir zunächst einen früheren Liebhaber, dann einen Kuppler,
später einen Protokollbeamten, nämlich jenen vermuteten, der sie verhängnisvollerweise mit dem ausländischen Staatsmann zusammenbrachte,
den sie nach eigener Aussage in ›Vertragslaune‹ bringen mußte und gebracht hat, nachdem anderen Damen das Zustandebringen
dieser ›Vertragslaune‹ nicht gelungen war.
Nun aber, kurz vor der Entlassung geschah etwas sehr Merkwürdiges, Paradoxes. Selbst nachdem ich durch Medizinstudium und
langjährige ›ärztliche‹ Praxis, durch einen insgesamt fast fünfunddreißig Jahre währenden Umgang mit dem zynischen Jargon
der ›Ritterburgen‹ gewohnt bin, fällt es mir schwer, einer Dame wie Ihnen schriftlich mitzuteilen, was mündlich noch schwieriger
wäre. Nun, werte Frau Pfeiffer – es handelt sich um den physikalisch wie biochemisch und psychisch so kompliziert reagierenden
und funktionierenden Muskel, der gemeinhin das männliche Geschlechtsteil genannt wird. Es wird Sie nicht überraschen (ach,
ich bin so erleichtert, daß |476| das Wort heraus ist), daß dieses Attribut von den Frauen, die gewöhnlich unsere Stationen bevölkern, nicht gerade mit zartfühlenden
Namen bedacht wird. Beliebt sind, waren und sind immer gewesen irgendwelche männliche Vornamen. Während ausgesprochen vulgäre
Epitheta schlimm genug klingen, so entsprechen sie doch dem Milieu und behalten einen fast sachlichen, nahezu klinischen Charakter,
der sie weniger vulgär macht als scheinbar ›edle‹. Nun wurden gerade in den Wochen, in denen Ihre Freundin zu genesen anfing,
die männlichen Vornamen als Spitzname für das beschriebene Attribut auf eine geradezu alberne Weise Mode auf unserer Station.
Sie müssen nämlich wissen, werte Frau Pfeiffer, daß es auf diesen Stationen zu Albernheitswellen kommt, die man vielleicht
nur aus Mädcheninternaten kennt, und außerdem: es überträgt sich auf die Pflege- bzw. Aufsichtspersonen. Wie ich während meiner
dreijährigen Gefängniszeit erfahren konnte, gibt es dieses ›dialektische Überspringen‹ auch zwischen Häftlingen und ihren
Wärtern. Nonnen, Ordensschwestern, ohnehin gelegentlich zur Albernheit neigend, machen gerade auf dermatologischen Stationen
gern diese Albernheiten mit; das ist nicht verwerflich, eher eine Art Notwehr. Nun waren die Ordensschwestern ausgesprochen
nett zu Ihrer Freundin, ließen, was Besuch und Geschenke, Alkohol und Zigaretten betraf, sehr oft fünf gerade sein, da sie
aber zum Teil seit dreißig, vierzig Jahren mit geschlechtskranken Frauen umgehen, haben sie sich – Notwehr! – deren Jargon
in
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