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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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manchen Fällen zu eigen gemacht, tragen sogar nicht selten zu dessen Erweiterung bei. Nun muß ich Ihnen etwas sehr Seltsames
     mitteilen, das Sie entweder überraschen, wahrscheinlicher aber Ihren Eindruck bestätigen wird: Frau Schlömer war ausgesprochen
     schamhaft. Zunächst neckte man sie damit, daß man in dem schon erwähnten Zusammenhang von ›Gustav |477| Adolf‹ oder ›Egon‹, ›Friedrich‹ etc. sprach und sich maßlos darüber erheiterte, daß Frau Schlömer nicht wußte, was gemeint
     war. Das war tage-, nächtelang ein Mordsspaß, an dem die Schwestern teilnahmen. Das grausame Spiel beschränkte sich zunächst
     auf extrem protestantische Vornamen: ›Dich hat der Gustav Adolf eben zu oft besucht‹ oder ›Du hast den Egon eben zu sehr geliebt‹
     etc. etc. Sobald Frau Schlömer dann, als die Anspielungen, ›um ihr ihre verdammte Unschuld zu nehmen‹ (die Patientin K. G.,
     eine über sechzigjährige berufsmäßige Kupplerin), so deutlich wurden, den Zusammenhang erkannte, fing sie an, bei jeder Erwähnung
     eines männlichen Vornamens heftig zu erröten. Ihr häufiges und heftiges Erröten hinwiederum wurde ihr als Zimperlichkeit und
     Heuchelei ausgelegt, woraufhin das grausame Spiel verstärkt, bis zum krassesten Sadismus gesteigert wurde. Bis man dann, um
     die Grausamkeit komplett zu machen, auch weibliche Vornamen in entsprechendem Zusammenhang hinzunahm. Beliebt war dabei die
     Kombination extrem protestantischer Vornamen mit extrem katholischen, die dann als ›Mischehen‹ bezeichnet wurden. Etwa Alois
     und Luise etc. Schließlich kam, um es vulgär auszudrücken, Frau Schlömer gar nicht aus dem Erröten heraus, sie errötete sogar,
     wenn in unverfänglichem Zusammenhang auf dem Flur der Name eines Besuchers oder einer Schwester oder Pflegerin gerufen wurde.
     Einmal auf diesem Weg der Grausamkeit und innerlich empört über eine Empfindlichkeit, die man Frau Schlömer nicht zubilligen
     wollte, steigerte man schließlich diese Quälereien ins Blasphemische, sprach nur noch vom heiligen Alois, der ja immerhin
     einmal der Schutzpatron der Keuschen gewesen ist, von der heiligen Agatha etc., und es bedurfte schon keiner psychologischen
     Sensibilität mehr, daß Frau Schlömer nicht nur errötete, sogar vor seelischem Schmerz aufschrie, |478| wenn der ›Heinrich‹ oder der ›heilige Heinrich‹ erwähnt wurde.
    Nun hat, werte Frau Pfeiffer, auch das Erröten einen medizinisch nachweisbaren Zusammenhang. Was man Erröten nennt, geschieht
     gewöhnlich durch eine plötzlich vermehrte Durchblutung der Gefäße und Kapillaren der Gesichtshaut, bei freudiger Erregung
     oder Verlegenheit (wie es bei Frau Schlömer der Fall war) vermittels des vegetativen Nervensystems. Andere Ursachen des Errötens
     – etwa Überanstrengung etc. – brauchen hier nicht erwähnt zu werden. Nun war bei Frau Schlömer die Kapillarpermeabilität (Durchlässigkeit)
     ohnehin verstärkt. Es bildeten sich bald sogenannte Hämatome (im Volksmund ›blaue Flecken‹ genannt) und Purpura, die man vulgo rote Flecken nennen könnte. Daran, werte Frau Pfeiffer, ist Ihre Freundin gestorben. Zuletzt – was eine Obduktion, wie sie
     dann auch erfolgt ist, durchaus rechtfertigte – war ihr ganzer Körper mit Hämatomen und Purpura bedeckt, war ihr vegetatives
     Nervensystem überfordert, stockte ihr Kreislauf, versagte ihr Herz, und da das Erröten bei Frau Schlömer zu einer massiven
     Neurose geworden war, errötete sie am Abend vor der Nacht, in der sie starb, sogar, als die Schwestern in der Kapelle die
     Allerheiligenlitanei sangen. Ich weiß, daß ich meine Theorie bzw. Behauptung niemals wissenschaftlich nachweisen könnte, und
     doch glaube ich Ihnen mitteilen zu müssen: Ihre Freundin Margret Schlömer ist am Erröten gestorben.
    Nachdem sie zu schwach geworden war, noch zusammenhängend zu erzählen, flüsterte sie immer nur: ›Heinrich, Heinrich, Leni,
     Rahel, Leni, Heinrich‹, und obwohl es nahegelegen hätte, ihr die Sterbesakramente spenden zu lassen, habe ich letzten Endes
     doch davon Abstand genommen: es hätte sie zu sehr gequält, da man in gesteigerter Blasphemie zuletzt dazu übergegangen war,
     auch |479| den ›lieben Heiland‹, das ›liebe Jesuskind‹ und die Madonna, die heilige Maria, die allerseligste Jungfrau in all ihren Epitheta,
     sogar der Lauretanischen Litanei entnommen wie Rosa Mystica etc., in den erwähnten Zusammenhang zu bringen. Ein an ihrem Sterbebett
     gesprochener

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