Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
liturgischer Text hätte Frau Schlömer gewiß mehr gequält als getröstet.
Ich halte es für meine Pflicht, hinzuzufügen, daß Frau Schlömer außer von den Namen Heinrich, Leni, Rahel auch in freundlicher,
fast herzlicher Weise von ›dem Mann, der da manchmal kommt‹, gesprochen hat. Wahrscheinlich hat sie damit den nicht mysteriösen,
eher obskuren Besucher gemeint.
Wenn ich diesen Brief unterzeichne mit ›in aufrichtiger Hochachtung‹, so erblicken Sie bitte darin nicht ein Ausweichen in
konventionelle Grußformen. Da ich mir ›herzlich‹ nicht erlauben kann, da es eine gewisse Zudringlichkeit ausdrücken könnte,
erlauben Sie mir hinzuzufügen
mit freundlichen Grüßen
Ihr
Bernhard Ehlwein.«
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Nach längeren Überlegungen entschied K., die nun energisch in die Ermittlungen eingreift, daß es doch besser sei, den Bericht
des Polizeibeamten in indirekte Rede zu verwandeln und nicht wörtlich zu zitieren. Natürlich findet dadurch eine erhebliche
stilistische Verschiebung statt, manches hübsche Detail geht flöten (wie die Dame mit Lockenwicklern im Haar, die in Gesellschaft
eines Herrn |480| im Unterhemd auftrat, dessen behaarte Brust als »fellartig« bezeichnet wurde; auch ein »kläglich winselnder Hund«, ein Abzahlungsrateneintreiber
– sie alle fallen einer Bilderstürmerei zum Opfer, die dem Verf. keineswegs recht ist, die eigentlich Opfer seiner Widerstandslosigkeit
sind). Ob bei ihm Lvw. vorliegt oder bloße Wvw. (Widerstandsverweigerung), mag offenbleiben. K. strich alles, was ihr überflüssig
erschien, scheute sich nicht, dabei den ihr so vertrauten Rotstift zu benutzen, und was nun übrigbleibt, ist das »Wesentliche«
(K.).
1) Der Polizeimeister Dieter Wülffen wurde vor wenigen Tagen in seinem Streifenwagen, mit dem er vor dem Südfriedhof parkte,
von einer Frau Käthe Zwiefäller angesprochen und gebeten, die Wohnung der Frau Ilse Kremer in der Nurgheimer Str. Nr. 5 gewaltsam
öffnen zu lassen. Befragt, warum sie dies für notwendig halte, gab Frau Zw. an, sie habe nach sehr langen Nachforschungen
(genau gesagt: nach 25 Jahren!), die sie allerdings, wie sie zugab, nicht nur mit Nachforschungen verbracht habe, die Adresse der Frau Kremer erfahren, habe sich freigemacht, sie zu besuchen und ihr eine
wichtige Mitteilung zu überbringen. Frau Zw. war begleitet von ihrem Sohn, dem 25jährigen Heinrich Zwiefäller, Landwirt wie
seine Mutter (eigentlich müßte es ja auf Frau Zw. bezogen Landwirtin heißen. Der Verf.). Sie seien gekommen, um Frau K. mitzuteilen,
daß ihr Ende 1944 verstorbener Sohn Erich in einem Dorf zwischen Kommerscheidt und Simmerath versucht habe, zu den Amerikanern
überzulaufen. Dabei sei er sowohl von Amerikanern wie von Deutschen beschossen worden, habe im Bauernhaus der Zwiefällers
Schutz gesucht, diesen gefunden, mehrere Tage dort verbracht, und es sei zwischen ihr, Käthe Zw. und Erich K., er siebzehn,
sie neunzehn, zu einer intimen Liebesbeziehung gekommen; sie hätten sich »verlobt«, »ewige Treue geschworen«, entschlossen,
das Haus nicht |481| zu verlassen, auch als die Kriegshandlungen sehr heftig, ja lebensgefährlich geworden seien; das Haus habe »zwischen den Linien«
gelegen. Beim Näherrücken der Amerikaner habe Erich K. ein zwar rotgestreiftes, aber doch überwiegend weißes Küchentuch als
Kapitulationszeichen in den oberen Türrahmen zu stecken versucht, dabei sei er von einem Scharfschützen der Deutschen Wehrmacht
durch »Herzschuß« getötet worden. Sie, Frau Zw., habe den Scharfschützen sogar gesehen, er habe auf einem Hochsitz »zwischen
den Linien gesessen«, sein Gewehr sei nicht auf die Amerikaner, es sei auf das Dorf gerichtet gewesen, wo allerdings nach
diesem Vorfall keiner (»Es waren noch etwa fünf Bewohner im Dorf«) mehr gewagt habe, eine weiße Fahne zu hissen. Frau Zw.
gab an, sie habe den toten K. ins Haus gezogen, in die Scheune gebettet, ihn sehr beweint, später dann, als die Amerikaner
das Dorf eroberten, eigenhändig in »geweihte Erde« gebettet. Bald habe sie bemerkt, daß sie schwanger sei, habe »fristgemäß«
am 20. 9. 45 einen Sohn geboren, ihn auf den Namen Heinrich taufen lassen; ihre Eltern – sie habe Ende 44 allein in dem Haus
gewohnt – seien nicht mehr aus der Evakuierung zurückgekehrt, sie habe auch keinerlei Nachricht über sie, sie gälten als verschollen,
wahrscheinlich wären sie »unterwegs« bei einem Bombenangriff getötet
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