Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
die ich damals natürlich nicht verstand« (Margret). Sie mußte
– und das mit ernster Feierlichkeit – versprechen, Leni nicht auf ähnliche |59| Pfade zu führen, ihr auch nicht den Ausweg aus dem Pensionat zu verraten, Leni sei zwar ausersehen, viel Freude zu spenden,
aber sie sei kein Freudenmädchen. Und Margret schwor es, hielt es, und »im übrigen war Leni nie in dieser Gefahr, sie wußte
schon selbst, was sie wollte«. Und außerdem habe Rahel recht, es sei ihre Haut, die zärtlich geliebt und heftig begehrt werde,
besonders die Haut ihrer Brust, und es sei ganz unglaublich, was die Jungen alles mit ihr anstellten. Von Rahel gefragt, ob
sie es mit einem oder mehreren treibe, errötete Margret zum zweitenmal innerhalb von zwanzig Minuten und sagte – wiederum
in ihrem flachen, trockenen, rheinischen Tonfall: »Auf einmal immer nur mit einem.« Und wiederum weinte Rahel, murmelte, es
sei nicht gut, was Margret treibe, gar nicht gut und werde ein böses Ende nehmen. Margrets Bleiben im Pensionat währte denn
auch nicht lange; es kam alles heraus, was sie mit den Jungen im Dorf trieb (zum größten Teil aktive Ministranten), es gab
Ärger mit den Eltern der Jungen, mit dem Pfarrer, mit den Eltern der Mädchen, es fand eine Untersuchung des Falles statt,
während der Margret und alle Jungen sich weigerten auszusagen – Margret mußte das Pensionat schon am Ende ihres ersten Jahres
verlassen. Was Leni blieb: eine Freundin fürs Leben, die sich später in heiklen, ja lebensgefährlichen Situationen noch oft
bewähren sollte.
Durchaus nicht verbittert, aber mit einer noch ungestillten Neugier, trat Leni ein Jahr später in den Arbeitsprozeß ein: als
Lehrling (offizielle Berufsbezeichnung Kontoristin) ins Büro ihres Vaters, auf dessen dringende Bitte sie sich jener Naziorganisation
für Mädchen anschloß, in deren Uniform sie sogar (Gott seis geklagt!) noch nett aussieht. Leni – das muß gesagt werden – beteiligt
sich lustlos an den Heimabenden, und es muß außerdem, bevor |60| Mißverständnisse entstehen, hinzugefügt werden, daß Leni keineswegs die politischen Dimensionen des Nazismus auch nur andeutungsweise
überschaute; ihr gefielen die braunen Uniformen keineswegs – besonders die SA war ihr zuwider, und wer sich ein wenig in ihre
sowohl skatologischen Interessen wie ihre skatologische Bildung durch Schwester Rahel hineinzuversetzen imstande sieht, wird
wissen oder wenigstens ahnen, warum ihr dieses Braun äußerst unsympathisch war. Ihre flaue Beteiligung an den Heimabenden,
die sie schließlich auslaufen ließ, da sie ohnehin ab September 1939 im Betrieb ihres Vaters als »kriegswichtige« Kraft arbeitete,
hatte andere Gründe: es ging ihr dort zu nonnenhaft-fromm zu; die Gruppe, der sie zugeteilt worden war, war nämlich von einer
energischen jungen Katholikin »geentert worden«, die sich vorgenommen hatte, »diese Sache« zu unterlaufen, und, nachdem sie
sich – leider nur halbwegs – der Zuverlässigkeit der zwölf ihr unterstellten Mädchen versichert hatte, ganze Abende durch
Absingen von Marienliedern, Rosenkranzmeditationen etc. umfunktionierte; nun hatte Leni, wie man sich denken kann, nichts
gegen Marienlieder, nichts gegen Rosenkranz etc., nur war sie – zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens knapp siebzehn – nach zweieinhalbjähriger,
mühsam erduldeter Nonnenschulfrömmigkeit nicht sonderlich interessiert und fand das langweilig; überraschend fand sies nicht,
nur langweilig. Natürlich blieben die Unterlaufungsversuche der jungen Dame – einer gewissen Gretel Mareike – nicht unbemerkt,
sie wurde von einem Mädchen – einer gewissen Paula Schmitz – denunziert, Leni wurde sogar als Zeugin vernommen, blieb, vom
Vater der Gretel Mareike entsprechend präpariert, standfest, leugnete, ohne mit der Wimper zu zucken, das Marienliedersingen
(was zehn von zwölf Mädchen übrigens taten), und so blieb der Gretel Mareike erheblicher Kummer erspart, nicht erspart blieben |61| ihr zwei Monate Gestapohaft und Verhöre, was ihr »vollends ausreichte« – mehr sagte sie nie darüber (Zusammenfassung nach
mehreren Gesprächen mit der van Doorn).
Inzwischen befindet man sich im Sommer des Jahres 1939. Leni kommt in die gesprächigste Periode ihres Lebens, die etwa eindreiviertel
Jahr andauern wird. Sie wird als Schönheit bezeichnet, sie macht auf Grund einer Sondergenehmigung den Führerschein, fährt
mit Vergnügen
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