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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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anders stellen: verflucht, was ist diese Leni denn eigentlich für ein Ferkel? Antwort: sie ist keins. Sie erwartet nur
     den »Richtigen«, der sich nicht zeigt; sie wird weiterhin belästigt, zu Rendezvous und Weekendausflügen eingeladen, fühlt
     sich nie angeekelt, nur belästigt, selbst die peinlichsten Äußerungen des Wunsches, ihr beizuwohnen, oft recht vulgär formuliert,
     wie sie ihr manchmal zugeflüstert werden, empören sie nicht, sie schüttelt nur den Kopf. Sie trägt gern hübsche Kleider, schwimmt,
     rudert, spielt Tennis, schläft nicht einmal unruhig, und »es war eine reine Freude, ihr zuzusehen, wies ihr beim Frühstück
     schmeckte, nein, das war einfach eine Freude, wie sie ihre zwei frischen Brötchen, zwei Scheiben Schwarzbrot, ihr weichgekochtes
     Ei, |64| ein bißchen Honig und gelegentlich eine Scheibe Schinken zu sich nahm – und den Kaffee, ganz heiß, mit heißer Milch und Zucker
     –, nein, das hätten Sie einfach sehen müssen, weils ne Freude war – täglich ne Freude, wie es dem Mädchen schmeckte« (Marja
     van Doorn).
    Außerdem geht sie gern ins Kino, »um in Ruhe im Dunkeln ein wenig zu weinen« (Zitat nach Marja van Doorn). Ein Film wie »Befreite
     Hände« z. B. näßt zwei ihrer Taschentücher so sehr, daß Marja irrtümlich annahm, Leni habe im Kino einen Schnupfen gefangen.
     Ein Film wie »Rasputin, der Dämon der Frauen« läßt sie vollkommen kalt, auch »Der Choral von Leuthen« oder »Heißes Blut«.
     »Nach solchen Filmen« (Marja van Doorn) »waren ihre Taschentücher nicht nur nicht naß, sie wirkten wie frisch gebügelt, so
     trocken waren sie.« »Das Mädchen von Fanö« hinwiederum entlockt ihr Tränen, nicht ganz soviel wie »Befreite Hände«.
     
    Sie lernt ihren Bruder kennen, den sie bisher selten gesehen hat; er ist zwei Jahre älter als sie, schon als Achtjähriger
     in ein Internat gekommen, wo er elf Jahre verblieb. Die meisten seiner Schulferien sind für zusätzliche Bildung verwandt worden:
     Aufenthalte in Italien, Frankreich, England, Österreich, Spanien, weil seinen Eltern am Herzen lag, aus ihm zu machen, was
     tatsächlich aus ihm gemacht wurde: »Ein junger Mann mit einer wirklich guten Bildung.« Wiederum nach M. v. D. fand die Mutter
     des jungen Heinrich Gruyten ihr »eigenes Milieu zu vulgär«, und da sie selbst, in Frankreich von Nonnen erzogen und gebildet,
     zeitlebens eine gewisse »gelegentlich übertriebene Feinnervigkeit« behielt, ist anzunehmen, daß sie für ihren Sohn Ähnliches
     erstrebte. Das muß, soweit darüber Auskunft zu erlangen war, gelungen sein. Wir müssen uns kurze Zeit mit diesem Heinrich
     Gruyten beschäftigen, der zwölf Jahre seines Lebens wie ein Geist, |65| fast ein Gott, eine Mischung von jungem Goethe und jungem Winckelmann mit einer Beimischung von Novalis, fern von der Familie
     existierte, der hin und wieder – innerhalb von elf Jahren etwa viermal – bei der Familie auftauchte und von dem Leni bis dato
     nur wußte, daß er »so lieb, so furchtbar lieb und gut ist«. Zugegeben, das ist nicht viel, klingt ein wenig nach Hostien,
     da nicht einmal M. v. D. viel mehr als Leni über ihn zu sagen weiß (»Sehr gebildet, sehr fein, aber nie stolz, nie«), und
     da Margret ihn im Laufe des Jahres 1939 nur zweimal offiziell, wenn sie zum Kaffee bei Gruytens eingeladen war, zu Gesicht
     bekommen hat, ein weiteres Mal inoffiziell im Jahre 1940, in einer ziemlich kühlen Aprilnacht, der Nacht, bevor Heinrich ausgeschickt
     wurde, um als Panzerschütze für das oben genannte Deutsche Reich Dänemark zu erobern, ist Margret angesichts von Lenis Verschwiegenheit
     und M. v. D.s Unwissenheit die einzige nichtklerikale Zeugin. Der Berichterstatter erklärt sich für befangen, wenn er jetzt
     die Umstände beschreibt, unter denen er von einer geschlechtskranken Frau von knapp fünfzig etwas über diesen Heinrich erfuhr.
     Alle wörtlichen Zitate von Margret sind von einem Tonband abgetippt, sie sind nicht manipuliert. Nun, zunächst: Margret geriet
     in Verzückung, ihr (schon reichlich entstelltes) Gesicht bekam einen kindlich-innigen Zug, als sie schlichtweg als erstes
     sagte: »Ja, den hab ich geliebt. Geliebt hab ich ihn.« Auf die Frage, ob er sie auch, schüttelte sie den Kopf, nicht in verneinender,
     eher in zweifelnder Absicht, jedenfalls keinesfalls – wie hier an Eides Statt versichert wird – in gekränkter Attitüde. »Dunkles
     Haar, müssen Sie wissen, und helle Augen, und – na ja, ich

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