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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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weiß nicht – eben edel, ja das ists, edel. Er hat nicht geahnt,
     wieviel Charme er hat, und für ihn wär ich sogar regelrecht aufn Strich gegangen, regelrecht, damit er Bücher lesen kann,
     oder, was weiß ich, was er gelernt hat, außer Bücher lesen und Kirchen |66| begutachten, Choräle studieren, Musik hören – Latein, Griechisch – und alles über Architektur; nun, er glich Leni – in Dunkel,
     und ich hab ihn geliebt. Zweimal war ich zum Kaffee da, hab ihn gesehen – im August 39 –, und am 7. April 40 hat er mich angerufen
     – ich war schon verheiratet mit dem reichen Knopp, den ich mir damals geangelt hatte –, hat mich angerufen, und ich bin gleich
     hin zu ihm, nach Flensburg, und als ich ankam, hatte er Ausgangssperre, und es war kalt draußen; am 8. dann wars, als ich
     ankam. Sie lagen schon da in ner Schule, alles fertig gepackt, um in der Nacht loszumarschieren, oder ob sie hingeflogen oder
     mit dem Schiff gefahren sind – ich weiß nicht. Ausgangssperre. Es hat keiner gewußt und nie erfahren, daß ich bei ihm war,
     Leni nicht und auch nicht ihre Eltern oder so. Er ist rausgekommen trotz Ausgangssperre. Über die Mauer vom Mädchenklo auf
     dem Schulhof. Kein Hotelzimmer, und auch kein privates. Nur ne Bar war offen, wir sind rein, und ein Mädchen hat uns sein
     Zimmer gegeben. Für mein ganzes Geld, zweihundert Mark und meinen Ring mit dem Rubin und sein ganzes Geld, hundertzwanzig
     und ein goldenes Zigarettenetui. Er hat mich geliebt, ich habe ihn geliebt – und es hat nichts gemacht, daß alles drum herum
     so hurig war. Macht nichts, macht gar nichts. Ja (Es wurde das Tonband zweimal exakt abgehört, um festzustellen, ob Margret
     tatsächlich zweimal – macht nichts, macht gar nichts – das Präsens benutzt hat. Objektive Feststellung: sie hat). Na ja, und
     dann war er bald drauf tot. Welch eine irrsinnige, irrsinnige Verschwendung.« Befragt, wieso ihr in diesem Zusammenhang das
     überraschende Wort Verschwendung einfalle, antwortete Margret wörtlich (vom Tonband abgetipptes Protokoll): »Nun sehen Sie
     mal, all die Bildung, all die Schönheit, all die Manneskraft – und zwanzig Jahre alt, und wie oft, wie oft hätten wir uns
     noch geliebt und lieben können, und nicht nur in solchen hurigen |67| Zimmern, auch draußen, wenns warm geworden wäre –, und alles so sinnlos, Verschwendung nenne ich das.«
     
    Da Margret, Leni und M. v. D. gleichermaßen ein ikonolatrisches Verhältnis zu Heinrich G. unterhalten, wurde auch in diesem
     Falle sachlichere Information gesucht; sie war lediglich zu erhalten durch zwei pergamenthäutige Jesuitenpatres, beide über
     siebzig, beide in gleichermaßen pfeifenrauchgeschwängerten Redaktionsstuben Manuskripte korrigierend, wenn auch für zwei verschiedene
     Zeitschriften, so doch gleiche Themen betreffend (Öffnung nach links oder nach rechts?), der eine Franzose, der andere Deutscher
     (möglicherweise auch Schweizer), der erstere ein ergrauter Blonder, der zweite ein ergrauter Schwarzhaariger; beide weise,
     gütig, listig, menschlich, beide, sobald sie gefragt wurden, in den Ruf ausbrechend: »Ach, der Heinrich, der Gruyten!« (wörtliche
     Übereinstimmung bis in die grammatikalischen und syntaktischen Details, sogar die Interpunktion, da auch der Franzose Deutsch
     sprach), beide legten ihre Tabakspfeifen aus der Hand, lehnten sich zurück, schoben die Manuskripte weg, schüttelten die Köpfe,
     nickten dann erinnerungsträchtig mit den Köpfen, seufzten dann tief und begannen zu sprechen; hier endet die totale, beginnt
     eine nur noch partielle Übereinstimmung; da der eine Herr in Rom, der andere in der Nähe von Freiburg aufgesucht werden mußte,
     vorbereitende Terminierungstelefongespräche über erhebliche Distanzen unumgänglich waren, entstanden erhebliche Unkosten,
     von denen gesagt werden muß, daß sie sich letzten Endes nicht lohnten, sieht man vom »menschlichen Wert« solcher Begegnungen
     ab, den man aber möglicherweise ohne so hohe Unkosten erlangen kann. Denn beide Herren trugen lediglich zu einer verstärkten
     Idolisierung des verstorbenen |68| Heinrich G. bei; der eine Herr, der Franzose, sagte: »Er war so deutsch, so deutsch und so edel.« Der andere sagte: »Er war
     so edel, so edel und so deutsch.« Um die Berichterstattung zu vereinfachen, werden die Herren, solange wir ihrer noch bedürfen,
     mit J.(esuit) I und J. II bezeichnet. J. I: »Einen so intelligenten und begabten Schüler hatten wir

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