Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
Margrets Herzen blüht« und das schreckliche Trauerjahr 1940/41. So mag denn auch Margret das entscheidende Wort über ihn haben
(Tonband): »Ich hab ihm gesagt, er soll weggehn, einfach mit mir weggehn – wir wären schon durchgekommen, und wenn ich auf
den Strich hätte gehen müssen –, aber er wollte doch seinen Vetter nicht allein lassen, der wäre ohne ihn verloren, und wohin
wir denn gehen könnten. Und all das Puffzeug drumherum, die verfluchten roten Lampen und Plüsch und rosa Zeugs und dreckige
Fotos und so, das war doch widerlich. Und geweint hat er nicht – und wie ists gekommen? Ach. Es blüht immer noch in mir, blüht – und wenn er siebzig
geworden wäre, achtzig, ich hätte ihn immer noch zärtlich geliebt, und was haben sie ihm dann zu fressen gegeben: das Abendland.
Das ganze Abendland im Bauch, ist er gestorben – Golgatha, Akropolis, Capitol (irres Lachen) – und den Bamberger Reiter noch
drauf. Für son Stuß hat son großartiger Junge nun gelebt. Son Stuß.«
Leni, über ihren Bruder befragt, wenn jemand das Foto an der Wand bemerkt, pflegt kühl, fast damenhaft zu werden und sich
mit der überraschenden Bemerkung zu begnügen: »Er ruht seit dreißig Jahren in dänischer Erde.« Selbstverständlich ist Margrets
Geheimnis gewahrt worden, weder die Jesuiten, noch Leni oder M. v. D. haben davon erfahren; der Verf. erwägt lediglich, Margret
zu veranlassen, es Leni gelegentlich selbst zu erzählen: es könnte ein kleiner Trost für Leni sein, zu wissen, daß ihr Bruder
vor seinem Tod eine Liebesnacht mit der achtzehnjährigen Margret verbracht hat. Wahrscheinlich würde Leni lächeln, und ein
Lächeln würde ihr guttun. Der Verf. hat keine Beweise für H.s poetische Begabung, |74| außer den zitierten Texten, die vielleicht als frühe Beispiele konkreter Poesie passieren dürfen.
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Um endlich in den Hintergrund zu gelangen, müssen wir uns nun einer Persönlichkeit nähern, die der Verf. nur zögernd ins Auge
faßt, zögernd, weil es zwar reichlich Fotos von ihr gibt, zahlreiche Zeugen, mehr als für Leni, und doch, weil oder obwohl
es soviel Zeugen gibt, ein unklares Bild entsteht: Lenis Vater Hubert Gruyten, der im Jahre 1949 im Alter von neunundvierzig
Jahren gestorben ist. Es konnten außer den direkt mit ihm verbundenen Personen – wie M. v. D., Hoyser, Lotte Hoyser, Leni,
Lenis Schwiegereltern, ihr Schwager – zweiundzwanzig Personen aufgetrieben werden, die ihn in den verschiedensten Lebenslagen
gekannt haben, zum größten Teil mit ihm zusammengearbeitet haben: einmal er ihnen, meistens sie ihm untergeben; achtzehn Personen
aus dem Baugewerbe, vier in beamteter Position, Architekten und Juristen, ein pensionierter Gefängnisbeamter. Da alle Personen
außer einer als ihm untergeben mit ihm gearbeitet haben, Techniker, Zeichner, Statiker, Planer, die heute zwischen fünfundvierzig
und achtzig Jahre alt sind, ist es vielleicht am besten, sie erst zu hören, nachdem die nackten Daten über Gruyten geliefert
sind: Hubert Gruyten, 1899 geboren, war gelernter Maurer, nahm ein Jahr am Ersten Weltkrieg teil (»unchargiert und lustlos«,
Aussage Hoyser sen.), avancierte nach dem Krieg kurzfristig zum Polier, heiratete 1919 »über seinem Stand« Lenis Mutter, die
Tochter eines beamteten Architekten in ziemlich hoher Position (Baudirektor); Helene Barkel brachte ihm einen Packen wertlos
gewordener türkischer |75| Eisenbahnaktien in die Ehe, vor allem aber ein solides Mietshaus mit guter Adresse, eben jenes, in dem Leni später geboren
wurde; außerdem war sie es, die entdeckte, »was in ihm steckte« (Hoyser sen.), sie veranlaßte ihn, den Bauingenieur zu machen,
drei Jahre, die der alte Gruyten nur sehr ungern als seine Studentenjahre bezeichnet hörte; seine Frau liebte es, von »dieser
Studentenzeit« als »hart, aber schön« zu sprechen, dem alten Gruyten war das peinlich; offenbar sah er sich nicht als Student.
Nach beendetem Studium, von 1924 bis 1929, war er ein gesuchter Bauleiter, auch für größere Objekte (nicht ohne Hilfe seines
Schwiegervaters); 1929 gründete er ein Bauunternehmen, lavierte bis 1933 ziemlich nahe an der Pleite hin, begann ab 1933 groß
einzusteigen, erreichte die Höhe seines Erfolgs Anfang 1943, verbrachte dann zwei Jahre bis Kriegsende im Gefängnis bzw. als
Zwangsarbeiter, kam, jeglichen Ehrgeizes ledig, 1945 nach Hause und begnügte sich damit, eine kleine Putzkolonne
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