Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
geschafft.«
Angesichts der umfangreichen Auskünfte, die für den alten G. vorliegen, kann hier nicht jede einzelne Auskunftsperson benannt
werden. Vorausgesetzt ist, daß keine Mühe gescheut wurde, um auch für eine Nebenperson, die lediglich im Hintergrund wichtig
ist, annähernd sachliche Information zu bekommen.
|78| Bei Marja van Doorn muß im Falle des alten G. zu einer gewissen Vorsicht gemahnt werden; da sie ungefähr gleichaltrig mit
ihm war (ist) und aus dem gleichen Dorf stammte wie er, ist nicht ausgeschlossen, daß sie in ihn verliebt war, mindestens
ein Auge auf ihn geworfen hatte und voreingenommen ist. Immerhin kam sie neunzehnjährig als Hausgehilfin zu dem jungverheirateten
Gruyten, der die soeben siebzehnjährige Helene Barkel ein halbes Jahr vorher anläßlich eines Architektenballes, zu dem Helenes
Vater G. eingeladen hatte, für sich entflammt hatte; ob er selbst für sie so sehr entflammt war, ist nicht genau herauszukriegen;
ob es richtig war, ein neunzehnjähriges Bauernmädchen, dem jedermann eine völlig ungebrochene und unbrechbare Vitalität nachsagt,
in seine so junge Ehe hineinzunehmen, mag zweifelhaft sein. Nicht zweifelhaft ist, daß fast alle Äußerungen von Marja über
Lenis Mutter ziemlich negativ sind, während sie Lenis Vater in permanenter ikonolatrischer Beleuchtung sieht, fast schon wie
im Licht eines Daueröllämpchens, einer Wachs- oder elektrischen Kerze oder einer Neonröhre vor einem Bild des Herzens Jesu
oder des Heiligen Joseph. Gewisse Äußerungen der van Doorn lassen sogar den Schluß zu, sie wäre u. U. bereit gewesen, mit
Hubert Gruyten in eine ehebrecherische Beziehung zu treten. Wenn sie zum Beispiel sagte, daß die Ehe vom Jahre 1927 an »bröckelig«
geworden sei, sie aber bereit gewesen sei, ihm all das zu geben, was seine Frau ihm nicht mehr geben konnte oder wollte, so
ist das doch eine ziemlich deutliche Anspielung, und wenn eine solche Anspielung auch noch vertieft wird durch die allerdings
scheu dahingeflüsterte Zusatzbemerkung, »schließlich war ich ja damals noch eine junge Frau«, so läßt das an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig. Direkt darauf angesprochen, ob sie mit einer solchen Anspielung meine, es sei wohl mit jener Intimität
aus gewesen, die als Zentralpunkt ehelicher |79| Beziehung gilt, so sagt die van Doorn auf ihre verblüffend direkte Art, »ja, das meine ich«, und was dann ihre immer noch
ausdrucksvollen braunen Augen ausdrücken, stumm, versteht sich, veranlaßt den Verf., anzunehmen, sie habe diese Erkenntnis
nicht nur als Beobachterin des Familienlebens, auch als Verwalterin der Bettwäsche erlangt. Weiterhin gefragt, ob sie glaube,
Gruyten habe »anderswo Trost gesucht«, so verneint sie das nachdrücklich und endgültig und fügt – der Verf. ist fast sicher,
dabei ein unterdrücktes Schluchzen in ihrer Stimme mitgehört zu haben – hinzu: »Wie ein Mönch hat er gelebt, wie ein Mönch,
und war doch keiner.«
Betrachtet man die Fotos des verstorbenen Hubert Gruyten – Babyfotos bleiben hier unberücksichtigt, als erstes Foto wird das
Schulentlassungsfoto ernsthaft zu Rate gezogen –, so sieht man ihn im Jahre 1913 als hochgewachsenen, schlanken Jungen, blond,
langnasig, irgendwie »entschlossen«, dunkeläugig, nicht ganz so steif wie seine abgebildeten Mitschüler, die wie Rekruten
wirken, und man glaubt sofort an die lediglich mündlich in fast schon mythischer Form als vom Lehrer, Pfarrer und Familie
geäußerte, gleichlautend überlieferte Vermutung: »Der wirds mal zu was bringen.« Zu was? Das nächste Foto zeigt ihn als soeben
freigesprochenen Lehrling, achtzehnjährig, 1917: der später auf ihn angewandte Ausdruck »Grübler« findet auf diesem Foto psychologische
Nahrung. G. ist ein ernster Junge, das sieht man auf den ersten Blick, die leicht zu erkennende Güte steht nur scheinbar im
Widerspruch zu einer deutlich erkennbaren Entschlossenheit und Willenskraft; da er immer nur en face fotografiert ist – bis
zu den letzten Fotos von ihm, die im Jahre 1949 mit einer kümmerlichen Box von Lenis Schwager, dem schon erwähnten Heinrich
Pfeiffer, gemacht worden sind –, wird die Proportion der Länge seiner |80| Nase zum übrigen Gesicht nie sichtbar oder nachweisbar, und da nicht einmal der berühmte Porträtist, der ihn im Jahre 1941
naturalistisch porträtierte (Öl auf Leinwand, gar nicht schlecht, wenn auch zu flach – das Bild konnte
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