Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
jetzt? »Es war gegen Ende März, müssen Sie wissen, und ich hatte den Eindruck, mit einer Schwachsinnigen
zu sprechen«; ob etwa Ende März – und das im Kriegsjahr 1940 – in Schleswig-Holstein die Heide blühe; es sei dem Mädchen der
Unterschied zwischen der atlantischen und der Fels-Heide völlig unbekannt gewesen, auch deren verschiedene Bodenvoraussetzungen;
schließlich, meinte Frau Schweigert, sei ja noch alles gutgegangen – offenbar schien ihr der Tod ihres Sohnes durch ein Exekutionspeloton
der Deutschen Wehrmacht besser als dessen mögliche Ehe mit Leni.
Man muß dieser Frau Schweigert zugestehen, daß sie auf ihre grausam prägnante Art doch Licht in manchen Hintergrund gebracht
hat; sie hat die ominöse »Finnen«-Sache aufgeklärt oder jedenfalls zu deren Aufklärung beigetragen – und bedenkt man, daß
Leni Ende März 1940 sich herabließ, Erhards Mutter zu besuchen und mit ihr über Heidekraut in Schleswig-Holstein zu sprechen,
nimmt man hinzu, daß sie nach der Aussage der van Doorn bereit war, nach Lotte Hoysers Meinung sogar bereit, die Initiative zu ergreifen, und erinnert man sich ihres Heidekraut-Erlebnisses
unter dem sommerlichen Sternenhimmel – so ist, selbst objektiv, der Schluß erlaubt, sie habe sich mit dem Gedanken getragen,
Erhard da oben zu besuchen und mit ihm im Heidekraut Erfüllung zu finden; selbst wenn man die botanischen und klimatologischen
Bedingungen objektiviert und zu dem Ergebnis kommt, ein solches Vorhaben sei dazu verdammt |111| gewesen, an Feuchtigkeit und Kälte zu scheitern, so bleibt doch die nachweisbare Tatsache, daß gewisse Heidepartien in Schleswig-Holstein
tatsächlich, jedenfalls nach des Verf. Erfahrung, manchmal im März, wenn auch nur für kurze Zeit, warm und trocken sind.
Schließlich packte Margret, immer wieder und wieder bedrängt, dann doch aus, sie sei von Leni um Rat gefragt worden, wie man
es machen müsse, wenn man mit einem Mann zusammenkommen wolle; von Margret auf die geräumige und zeitweise recht stille Siebenzimmerwohnung
ihrer Eltern hingewiesen, wobei Margret, nicht Leni errötete, schüttelte Leni den Kopf; schließlich auf ihr eigenes Zimmer
in dieser Wohnung verwiesen, das sie abschließen könne und in das sie niemand hereinzulassen brauche, schüttelte Leni abermals
den Kopf, und von der ungeduldig werdenden Margret schon recht direkt darauf hingewiesen, daß es schließlich Hotels gebe,
verwies Leni auf ihr verunglücktes Abenteuer mit dem jungen Architekten (das noch nicht lange zurücklag) und äußerte eine
Vorstellung, die Margret »als Lenis bisher intimste Mitteilung« nur zögernd wiedergab, die Vorstellung, »es« müsse und dürfe
nicht »im Bett« geschehen, sondern draußen. »Im Freien, im Freien. Diese ganze Miteinander-ins-Bett-Geherei ist nicht, was
ich suche.« Leni gab zu, daß bei einem möglichen Eheleben das Bett zeitweise unvermeidlich sein würde. Nur: mit Erhard wollte
sie nicht gleich beim erstenmal ins Bett gehen. Sie war drauf und dran, nach Flensburg zu fahren, entschloß sich dann aber,
erst im Mai dorthin zu fahren – ihr Rendezvous mit Erhard blieb also eine durch die Militärgeschichte verhinderte Utopie.
Oder nicht? Genau weiß das keiner.
Das Jahr zwischen April 1940 und Juni 1941 verdient nach Aussagen aller familiären und nichtfamiliären Zeugen |112| nur eine Bezeichnung: düster. Leni verlor nicht nur ihre gute Laune, sie verlor ihre Gesprächigkeit wieder, sogar den Appetit.
Ihre Lust am Autofahren schwindet vorübergehend, die Freude am Fliegen – dreimal ist sie mit ihrem Vater und Lotte Hoyser
nach Berlin geflogen – schwindet. Nur einmal wöchentlich setzt sie sich ans Steuer und fährt die paar Kilometer zu Schwester
Rahel. Sie blieb dort manchmal lange; über ihre Gespräche mit Rahel ist nichts zu erfahren, auch nicht von B. H. T., der Rahel
von Mai 1941 nicht mehr im Antiquariat sieht und – offenbar aus Trägheit oder Einfallslosigkeit – nicht auf den Gedanken kommt,
sie einmal zu besuchen. Ein riesiger Nonnenkloster-Obstgarten im Sommer, im Herbst, im Winter des Jahres 1940/41, ein junges
Mädchen, achtzehneinhalb, das nur noch Schwarz trägt, deren einziges Produkt der äußeren Sekretion in einem komplizierten
Produkt besteht: Tränen. Da wenige Wochen später auch die Todesnachricht von Wilhelm Hoyser, Lottes Mann, eintrifft, erweitert
sich der Kreis der Weinenden um den alten Hoyser, seine Frau
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