Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
alten Hoyser: »Ich hab doch immer gewußt und gesagt, daß sie ne
großartige Frau ist.«
Gewisse Spannungen treten wenige Tage später auf, als Lotte nachdrücklich darauf besteht, Frau Gruyten zur Patin zu nehmen,
sich aber weigert, den Jungen, den sie Kurt genannt haben möchte (»Das war Willis Wunsch, wenn es ein Junge wird – ein Mädchen
hätte Helene heißen sollen«), taufen zu lassen. Sie wird ausfällig gegen die Kirchen, »besonders die da« (ein Ausdruck, der
nie so ganz erklärt werden konnte; mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, daß sie die römischkatholische
Kirche gemeint hat, andere Kirchen kannte sie nicht näher. Der Verf.). Frau Gruyten ist darüber nicht böse, nur »sehr, sehr
traurig«, nimmt die Patenschaft an und legt großen Wert darauf, dem Jungen etwas Ordentliches, Handgreifliches und Dauerhaftes
in die Wiege zu legen. Sie schenkt ihm ein noch unbebautes Grundstück am Stadtrand, das sie beim Tod ihrer Eltern geerbt hat;
sie macht das alles korrekt, mit Notar, und der alte Gruyten verspricht etwas, das er gewiß gehalten hätte, aber nicht |125| wird halten können: »Und ich, ich bau ihm ein Haus drauf.«
Die Periode tiefster Schwermut scheint vorüber zu sein. Des alten Gruyten bisher passiv-apathische Schwermut wird aktiv: »mit
Triumph, ja, fast mit Schadenfreude« (Hoyser sen.) nimmt er die Tatsache zur Kenntnis, daß am frühen Morgen des 16. Februar
1941 sein Bürohaus von zwei Sprengbomben getroffen wird. Da keine Brandbomben gefallen sind, auch durch die Sprengkraft kein
Feuer entstand, bleibt die Hoffnung, »daß der ganze Krempel verbrannt ist«, unerfüllt: nach einwöchigen Aufräumungsarbeiten,
an denen Leni nicht sonderlich begeistert teilnimmt, stellt sich heraus, daß kaum ein Aktenstück verlorengegangen ist, und
nach weiteren vier Wochen ist das Bürohaus wieder instand gesetzt. Gruyten betritt es nie wieder, er wird zur Überraschung
seiner gesamten Umgebung etwas, was er bis dahin, »auch in seiner Jugend eigentlich nie gewesen ist – er wird gesellig« (Lotte
Hoyser). Lotte Hoyser dazu: »Er wurde richtig nett, etwas ganz Überraschendes. Jeden Tag bestand er drauf, daß zwischen vier
und fünf alle miteinander Kaffee tranken, in der Wohnung, und Leni mußte dabeisein, meine Schwiegermutter, die Kinder, alle.
Nach fünf blieb er mit meinem Vater allein und ließ sich in alle Details des ›Ladens‹ einweihen, Kontostand, Kontenbewegung,
Vorhaben, Bauplätze – eine Vermögensübersicht ließ er sich machen und verbrachte viele Stunden bei Anwälten, auch beamteten
Juristen, um sich darüber zu informieren, wie er die Firma – die ganz auf ihn allein stand – in eine Gesellschaft umwandeln
könne. Es wurde eine ›Veteranenliste‹ aufgestellt. Er war schlau genug zu wissen, daß er mit zweiundvierzig – und dazu vollkommen
gesund – noch wehrpflichtig war, und wollte für sich einen Posten als Berater im Direktorenrang gesichert haben. Auf Anraten |126| seiner Auftraggeber – ziemlich hohe Tiere, auch ein paar Generäle darunter, die ihm alle gutwollten, wie es scheint – verwandelte
er seinen Titel in den eines ›Planungschefs‹; ich wurde Direktorin des Personalbüros, mein Vater Finanzbeauftragter – Leni,
die gerade achtzehneinhalb geworden war, zur Direktorin zu machen gelang ihm nicht: sie wollte nicht. Er dachte an alles –
nur eins vergaß er: Leni finanziell zu sichern. Später, als der Skandal kam, wußten wir natürlich alle, warum er das so eingefädelt
hatte – aber da saßen Leni und seine Frau auf dem trockenen. Nun, er war nett – und noch was Überraschenderes: er sprach über
seinen Sohn; fast ein Jahr lang war der Name nicht gefallen und hätte nicht fallen dürfen. Nun sprach er über ihn; er war
nicht dumm genug, von so nem Blödsinn wie Schicksal oder so zu sprechen, sagte aber, er fände es gut, daß Heinrich nicht ›passiv‹,
sondern ›aktiv‹ gestorben sei. Ich hab das nicht ganz verstanden, weil mir nach mehr als einem Jahr diese dänische Geschichte
doch schon sehr dumm im Mund schmeckte, ein bißchen albern vorkam – oder sagen wir: ich hätte sie albern gefunden, wären die
beiden nicht dafür gestorben; heute meine ich, daß auch das ›Dafür-Sterben‹ eine Sache nicht besser, größer oder weniger albern
macht; es schmeckt mir einfach dumm im Mund, mehr kann ich dazu nicht sagen. Dann schließlich hatte Gruyten
Weitere Kostenlose Bücher