Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
findet die Tatsache empörend, daß dieses »Heidekraut-Mädchen« (immerhin eine Variation zu dem »Na-ja-Mädchen«.
Der Verf.) sich »anmaßt«, um ihren Sohn zu trauern, wo nicht einmal sie selbst um ihn trauert. Nach dieser »empörenden Mitteilung«
stellt sie ihre Besuche ein und verläßt das Haus mit der Bemerkung: »Das geht aber nun wirklich zu weit – Heidekraut.«
Natürlich laufen auch in diesem Jahr Filme, und Leni geht hin und wieder ins Kino. Sie sieht »Kameraden auf See«, »Es war
eine rauschende Ballnacht«, sieht noch einmal »Bismarck«.
Der Verf. zweifelt daran, daß auch nur einer dieser Filme ihr annähernd Trost oder auch nur Ablenkung gebracht hat.
Ob die damals gängigen Schlager »Tapfere kleine Soldatenfrau«, »Wir fahren gegen Engelland« sie getröstet haben? Es muß zweifelhaft
bleiben.
Zeitweise liegen alle drei Gruytens, Vater, Mutter, Tochter, im Bett, in verdunkelten Zimmern, verlassen auch bei Fliegeralarm
nicht ihre Zimmer und »starren tage-, ja wochenlang nur gegen die Decke« (van Doorn).
Die Hoysers sind inzwischen alle ins Gruytensche Haus gezogen, Otto, seine Frau, Lotte, ihr Sohn Werner – und es tritt ein
Ereignis ein, das zwar vorauszusehen, sogar genau vorauszuberechnen war und dennoch wie ein Wunder betrachtet wird, sogar
zur Heilung beiträgt: Lottes Kind kommt zur Welt, in der Nacht vom 21. Dezember auf den 22. Dezember 1940, während eines Fliegerangriffs;
es ist ein Junge, sechseinhalb Pfund schwer, und da er ein wenig früher kommt als erwartet, die Hebamme nicht vorbereitet
und »anderswo beschäftigt« (bei der Geburt eines Mädchens, wie sich später herausstellt), die energische Lotte sich überraschenderweise
als |123| schwach und hilflos erweist wie die van Doorn, geschieht ein weiteres Wunder: Frau Gruyten verläßt ihr Bett, gibt Leni mit
präziser, energischer und doch freundlicher Stimme Anweisungen; während die letzten Wehen über Lotte kommen, wird Wasser heiß
gemacht, eine Schere sterilisiert, werden Windeln und Decken vorgewärmt, es wird Kaffee gemahlen, Cognac bereitgestellt; es
ist eine eiskalte, dunkle, die dunkelste Nacht des Jahres, und die abgemagerte, »fast zur Nur-noch-Seele gewordene« (van Doorn)
Frau Gruyten hat ihre große Stunde, in ihrem himmelblauen Bademantel, immer wieder auf der Kommode das Vorhandensein der notwendigen
Instrumente überprüfend, Kölnisch Wasser auf Lottes Stirn tupfend, ihre Hände haltend, ihr ohne jede Zimperlichkeit die Beine
weit auseinanderspreizend, bringt sie sie in die vorgeschriebene Halbhockstellung: keineswegs erschrocken, nimmt sie das Baby
in Empfang, wäscht die Mutter mit Essigwasser, schneidet die Nabelschnur durch und sorgt dafür, daß es »warm, warm, warm«
in einen von Leni gut ausgepolsterten Waschkorb gelegt wird. Daß die Sprengbomben nicht sehr weit entfernt fallen, stört sie
nicht im geringsten, und den Luftschutzwart, einen gewissen Hoster, der immer wieder verlangt, daß die Lichter gelöscht werden
und jedermann in den Keller kommt, fertigt sie mit einer Schlagfertigkeit ab, daß alle Zeugen für diesen Vorfall (Lotte, Marja
van Doorn, der alte Hoyser) einstimmig, unabhängig voneinander aussagen, sie habe »regelrecht wie ein Gendarm« gewirkt.
Ist doch eine Ärztin an ihr verlorengegangen? Jedenfalls »reinigt« sie »den Mutterschoß« (Frau Gruyten nach Hoyser sen.),
kontrolliert den Austritt der Nachgeburt, trinkt Kaffee und Cognac mit Leni und Lotte; überraschenderweise hatte sich die
vitale van Doorn als »diesem Vorgang nicht gewachsen erwiesen« (Lotte) und sich unter |124| fadenscheinigen Vorwänden meistens in der Küche aufgehalten, wo sie die beiden Männer Gruyten und Hoyser mit Kaffee bewirtet
und, indem sie permanent von »wir« spricht (»Wir machen das schon, wir schaffen das schon, wir lassen uns doch nicht unterkriegen,
na, wir etc.« – mit ganz leise geäußerter Kritik an Frau Gruyten: »Hoffentlich halten ihre Nerven stand, mein Gott, wenn das
nur nicht zuviel für sie ist.«), hält sie sich vom Ort des Geschehens, Lottes Schlafzimmer, fern und tritt erst auf den Plan,
als das Schlimmste vorüber ist. Als Frau Gruyten um sich blickt, als traue sie selbst ihrer Fähigkeit zuzupacken nicht, kommt
sie mit dem kleinen Werner ins Schlafzimmer und flüstert ihm vor: »Nun schauen wir uns aber mal unser Brüderchen an, was?«
Als hätte das jemand bezweifelt, sagte der alte Gruyten zum
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