Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
nachgewiesen«, und da Wilhelm Pfeiffer letzten Endes doch, wenn auch erst 1940, »weniger auf Grund seiner politischen Aktivität,
die ziemlich peinlich war, sondern weil wirs einfach nicht mehr mit ihm aushielten, auszog« (Gastwirt Zimmermann in Lyssemich,
54 Jahre alt, gediegen und glaubwürdig), sind die Pfeifferspuren dort fast verweht; die einzigen Zeugen sind leider alle –
so oder so – voreingenommen: die van Doorn, alle Hoysers, Leni (Margret weiß über die Pfeiffers nichts); die Angaben der beiden
parteiischen Gruppen widersprechen sich nie in den Daten, nur in deren Interpretation. Alle Zeugen der Gegen-Alois-Partei
geben an, Alois habe – darin hat sein Lebenslauf Ähnlichkeit mit dem Lenis – mit vierzehn die höhere Schule drangeben müssen,
die Pfeiffers behaupten, er wäre »gewissen Intrigen zum Opfer gefallen«. Unbestritten ist, wenn auch diese Eigenschaft in
den verschiedensten ironischen Brechungen genannt wird: daß er ein »schöner Mann« war. Leni hat kein Foto von ihm an der Wand
hängen, die Pfeiffers etwa zehn, und es muß gesagt werden: wenn die Bezeichnung schöner |132| Mann je einen Sinn gehabt hat – auf Alois trifft sie zu. Er hatte hellblaue Augen, dunkles, fast blauschwarzes Haar; im Zusammenhang
mit äußerst vulgären Rassetheorien ist viel über das blauschwarze Haar von A. geredet worden; sein Vater war blond, seine
Mutter, sämtliche Vorfahren (alle folgenden Auskünfte von den Eltern Pfeiffers), soweit über deren Haarfarbe etwas bekannt
oder überliefert war; da alle nachweisbaren Vorfahren der Pfeiffers und Tolzems (Mädchenname der Frau Pfeiffer) in dem geographischen
Dreieck Lyssemich–Werpen–Tolzem (ein Dreieck mit dem Gesamtumfang von siebenundzwanzig Kilometern) das Licht der Welt erblickten,
waren umständliche Reisen nicht erforderlich. Zwei früh verstorbene Schwestern von Alois, Berta und Käthe, waren – wie sein
noch lebender Bruder Heinrich – hell-, wenn nicht goldblond. Es muß ein irrsinniges Schwarzhaar-Blondhaar-Geraune bei den
Pfeiffers schon am Frühstückstisch Thema Nr. 1 gewesen sein; man war sogar bereit, zu dem ekelhaften Mittel der Ahnenverdächtigung
zu greifen, um A.s Haar zu erklären; es wurde innerhalb des genannten geographischen Dreiecks (was angesichts von dessen Umfang
keinen sehr großen Aufwand bedeutet haben kann) in den Pfarrbüchern und Standesamtsregistern herumgeschnüffelt (die Kreisstadt
mit dem Amtsregister ist Werpen), um weibliche Ahnen aufzustöbern, denen – via Seitensprung – das Einschleppen des dunklen
Haares angehängt werden konnte; »ich erinnere mich«, sagte Heinrich Pfeiffer, was seine Familie betrifft, übrigens gänzlich
ohne Ironie, »daß man endlich im Jahr 1936 im Kirchenbuch von Tolzem eine Frau aufgetrieben hatte, aus deren Erbmasse das
überraschend dunkle Haar meines Bruders stammen konnte: es war eine gewisse Maria, von der nur der Vorname eingetragen war,
deren Eltern aber als ›vagabundi‹ verzeichnet sind.«
|133| Heinrich P. bewohnt mit seiner Frau Hetti geb. Irms ein Einfamilienhaus in einer Angestelltensiedlung mit konfessionellem
Hintergrund. Er hat zwei Söhne, Wilhelm und Karl, und steht kurz vor der Anschaffung eines Kleinwagens. H. P. ist unterschenkelamputiert,
nicht unfreundlich, aber ein wenig gereizt, was er mit »Anschaffungssorgen« begründet.
Nun sind in diesem geographischen Dreieck dunkle Haare keineswegs selten, sie überwiegen im optisch wahrnehmbaren, flüchtig
erfaßten Durchschnitt, wie der Verf. mit eigenen Augen sich überzeugen konnte. Aber es gab da eine Familiensage, einen Familienstolz,
der unter der Bezeichnung »Das berühmte Pfeifferhaar« kolportiert wurde; eine Frau, die »Pfeifferhaar« hatte, galt irgendwie
als begnadet, gesegnet, jedenfalls als schön. Da bei den Nachforschungen innerhalb des Dreiecks Tolzem–Werpen–Lyssemich nach
Heinrich P.s Mitteilung zahlreiche Querverbindungen zu den Gruytens und deren Vorfahren entdeckt wurden (nicht zu den Barkels,
die waren schon seit Generationen städtisch), scheint es dem Verf. nicht unmöglich, daß Leni durch irgendwelche Querverbindungen
dieses Pfeifferhaar erwischt hat. Nun wollen wir gerecht sein: A.s Haar war objektiv – sozusagen nach Friseurgesichtspunkten
– verdammt schön: dicht, dunkel, naturgewellt. Daß es gewellt war, gab wieder Anlaß zu zahlreichen Spekulationen, weil das
Pfeifferhaar – wie bei Leni! – glatt und
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