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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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ihr kleines Zimmerchen hatte sie mehr, hockte oben unterm
     Dach in einer ganz kleinen Kammer, wo früher mal Besen, Schrubber, Ata, Imi und Putzlappen gelagert hatten, und wissen Sie,
     worum sie uns beide bat? Um Zigaretten! Ich hab ja damals nicht geraucht, aber Leni gab ihr ein paar, und sie hat sich gleich
     eine angesteckt und tüchtig inhaliert; dann hat sie sie geköpft – und ich hab schon manchen ne Zigarette köpfen sehen, |120| aber wie sie das konnte! das saß –, es war Fach- und Maßarbeit, wie im Kittchen oder im Krankenhaus auf der Toilette, ganz
     vorsichtig hat sie die Glut mit ner Schere abgeschnippt und in der herabgefallenen Glut rumgestochert, ob nicht noch ein Fädchen
     Tabak drin war – und alles in ne leere Streichholzschachtel. Dabei hat sie immer gemurmelt: ›Der Herr ist nahe, der Herr ist
     nahe, er ist da.‹ Nicht irre, nicht ironisch, ernst hat sie das gesagt – verrückt war sie nicht, nur ein bißchen verkommen,
     als würde an ihrer Seife gespart. Ich bin nicht mehr hingegangen, ich habe Angst gehabt, offen gestanden – ich war doch mit
     den Nerven sowieso runter, weil der Junge tot war und auch sein Vetter; ich hab mich, wenn Schlömer nicht da war, in den Soldatenbumsdingern
     rumgetrieben und bin mit irgendeinem weggegangen; ich war fertig, schon mit neunzehn – und das mit der Nonne konnte ich nicht
     mit ansehen, die war eingesperrt wie ne zum Tode verurteilte Maus, das konnte man sehen; sie war noch schrumpliger geworden,
     hat in das Brot gebissen, das Leni ihr brachte, und immer wieder zu mir gesagt: ›Margret, laß das doch, laß es.‹ ›Was?‹ hab
     ich gefragt. ›Was du da machst.‹ Ich hatte nicht mehr den Mut, konnte nicht, meine Nerven waren hin – Leni ist ja noch jahrelang
     zu ihr hingegangen. Sie hat komische Sachen gesagt: ›Warum bringen sie mich nicht einfach um, statt mich zu verstekken?‹ Und
     zu Leni hat sie immer gesagt: ›Verdammt, du sollst leben, leben sollst du, hörst du?‹ – und Leni hat geweint. Sie hat sie
     gern gehabt. Nun, später hat mans ja erfahren (›Was?‹), daß sie ne Jüdin war und der Orden sie gar nicht angemeldet hatte,
     einfach so getan, als sei sie bei einer Versetzung verschwunden, haben sie versteckt, ihr aber nicht viel zu essen gegeben.
     Weil sie ja keine Lebensmittelkarte hätte, und dabei hatten sie doch den Obstgarten und die Schweine, die sie fett machten.
     Nein, meine Nerven haben da nicht mitgemacht. Wie ne kleine, alte, |121| verschrumpelte Maus hat sie dagehockt – und Leni hat man nur zu ihr zugelassen, weil sie so energisch war und weil man wußte,
     wie naiv sie ist. Sie hat gemeint, die Schwester würde nur bestraft. Bis zuletzt hat die Leni gar nicht gewußt, was überhaupt
     ein Jude oder ne Jüdin ist. Und auch wenn sies gewußt hätte und gewußt hätte, wie gefährlich es war: sie hätte gesagt: ›Na,
     und?‹ und wäre weiter hingegangen, das schwör ich. Leni hatte Mut – sie hat ihn noch. Schlimm war, wenn die Schwester sagte:
     ›Der Herr ist nahe, der Herr ist nahe‹, und hat auf die Tür geguckt, als käme er jetzt herein, sofort – das hat mir Angst
     gemacht, Leni nicht – die hat zur Tür geguckt, erwartungsvoll – als würde es sie nicht überraschen, wenn der Herr hereinkäme.
     Das war aber schon Anfang 41, da hab ich schon im Lazarett gearbeitet, und sie hat mich dann angesehen und gesagt: ›Nicht
     nur, was du tust, ist nicht gut – was du nimmst, ist noch schlimmer, seit wann nimmst du es?‹ Und ich habe gesagt: ›Seit vierzehn
     Tagen.‹ Und sie: ›Dann ist es noch Zeit.‹ Ich: ›Nein, nie mehr geb ichs dran.‹ Morphium natürlich – wußten Sies nicht, oder
     haben Sies nicht mindestens geahnt?«
     
    Die einzige, die des Trostes nie bedurft zu haben scheint, ist Frau Schweigert, die um diese Zeit öfter im Hause Gruyten auftritt,
     um ihre sterbende Schwester zu besuchen, ihr klarzumachen versucht, daß das »Schicksal einen nicht brechen kann, nur stark
     macht«; daß ihr Mann, Gruyten, seine schlechte Rasse bewiese, weil er »so gebrochen« sei. Sie entblödet sich nicht, ihrer
     regelrecht dahinsiechenden Schwester vorzuhalten: »Denk an die stolzen Fenier.« Sie redet von Langemarck, ist gekränkt, zu
     Tode gekränkt, als sie, nach den Ursachen von Lenis offensichtlichem Kummer fragend, von der van Doorn, die für alle diese
     Äußerungen als Auskunftsperson steht, erfährt, daß Leni wahrscheinlich um ihren Sohn Erhard |122| trauert. Sie

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