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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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›die neue Konstruktion‹
     der Firma stehen und gab im Juni, zum zwölften Jahrestag der Firmengründung, dieses Fest, auf dem er das alles verkünden wollte.
     Es war am fünfzehnten genau zwischen zwei Bombenangriffen – als hätte ers geahnt. Wir, wir ahnten nichts. Nichts.«
     
    Leni setzte ihre Versuche auf dem Klavier wieder fort, intensiv und mit einem »plötzlich ganz hartnäckigen Gesicht« (Hoyser
     sen.), und der schon erwähnte Schirtenstein, der ihr (alles nach eigener Aussage) »nicht ganz uninteressiert |127| , aber doch mehr oder weniger gelangweilt«, wenn er meditierend am Fenster stand, zugehört hatte, »horchte plötzlich auf und
     hörte dann an einem Juniabend die erstaunlichste Interpretation, die ich je gehört habe. Es war da mit einem Mal eine Härte,
     fast schon kalte Härte drin, wie ich sie noch nie gehört habe. Wenn Sie mir als altem Mann, der so manchen verrissen hat,
     eine Sie möglicherweise überraschende Bemerkung gestatten wollen: ich hörte Schubert neu, wie zum erstenmal, und wer das spielte
     – ich hätte Ihnen nicht sagen können, obs ein Mann oder eine Frau war –, der hatte nicht nur was gelernt, er hatte auch was
     kapiert – und es geschieht sehr selten, daß Nichtprofessionelle so was kapieren. Da spielte nicht einer Klavier, da – da geschah Musik , und ich ertappte mich immer wieder dabei, daß ich am Fenster stand und wartete, meistens abends zwischen sechs und acht.
     Dann wurde ich ja bald eingezogen und war lange weg, lange – und als ich zurückkam, war die Wohnung besetzt, 1952 –, ja, elf
     Jahre lang war ich weg, Gefangenschaft – bei den Russen, da habe ich weit, weit unter meinem Niveau geklimpert – habs nicht
     schlecht gehabt –, Tanzmusik, Schlager – schlimme Sachen; wissen Sie, was das bedeutet, wenn ein ›gefürchteter Konzertkritiker‹
     ungefähr sechsmal täglich ›Lili Marleen‹ spielt? –, und vier Jahre nach meiner Rückkehr, das muß 56 gewesen sein, hatte ich
     endlich wieder meine alte Wohnung – ich liebe nun mal diese Bäume auf dem Hof und die hohen Dekken –, und was höre ich und
     erkenne es nach fünfzehn Jahren wieder – das Moderato aus der a-Moll-Sonate und das Allegretto aus der G-Dur-Sonate, so klar,
     so hart und so tief, wie ich es noch nie gehört habe, auch 1941 nicht, als ich plötzlich anfing, aufmerksam zu werden. Das
     war einfach Weltklasse.«

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    Was nun folgt, könnte die Überschrift tragen: Leni begeht eine Dummheit, Leni verläßt den Pfad der Tugend – oder: Was ist
     denn nur mit Leni los?
    Zu dem Mitte Juni 1941 veranstalteten Betriebsfest hatte Gruyten auch »alle zur Zeit in der Heimat weilenden betriebsangehörigen
     Urlauber« eingeladen. Was keiner ahnen konnte, »was übrigens ja auch aus der Einladung nicht herauszulesen war« (Hoyser sen.),
     »daß irgendeiner auf die Idee kommen könnte, auch ehemalige Betriebsangehörige könnten sich für eingeladen halten, und selbst der Ausdruck ›ehemaliger Betriebsangehöriger‹ wäre für den ne ziemliche Übertreibung gewesen, der hat nämlich 1936 mal sechs Wochen bei uns volontiert, nein, Lehrling wollte er nicht
     sein, diese Bezeichnung fand er zu ›primitiv‹, er mußte gleich ›Volontär‹ sein, aber lernen wollte er nicht, er wollte uns
     nur beibringen, wie man bauen muß – und wir haben ihn wieder rausgeschmissen, und er ist dann bald zum Kommiß gegangen, er
     war nicht gerade übel, der Junge, nur ein Spinner, kein guter Spinner wie vielleicht dieser Erhard – ein schlechter Spinner,
     mit der Neigung zum Gigantismus, die uns nun gar nicht lag; seine Idee war, dem Beton abzuschwören und die ›Königlichkeit‹
     des Steins ›wiederzuentdecken‹ – nun, gut, vielleicht war was dran, aber wir konnten ihn einfach nicht gebrauchen, vor allem,
     weil er keinen Stein in die Hand nehmen wollte und konnte. Verflucht, ich bin fast sechzig Jahre im Bauwesen tätig gewesen,
     damals war ich immerhin schon fast vierzig Jahre drin, und ich konnte mir schon was vorstellen unter ›Königlichkeit des Steins‹;
     ich habe Hunderte von Maurern und Maurerlehrlingen gesehen, wie sie mit Steinen umgingen – Sie müssen sich mal anschauen,
     wie ein richtiger Maurer einen Stein anpackt! Gut – aber der, der hatte einfach keine Hand und |129| kein Gefühl für Stein – ein Schwätzer war er. Nicht bösartig, nein – nur: Rosinen im Kopf, und wir wußten sogar, wo sie herkamen.«
    Eine weitere unvorhergesehene,

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