Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
straff war etc. etc.
Es kann als objektiv nachgewiesen gelten, daß um diesen Alois einfach vom ersten Tag seiner Geburt an zuviel Getue gemacht
wurde. Wie es den Pfeifferschen Praktiken durchaus entsprach, wurde rasch aus der Not eine Tugend gemacht, und er galt »als
unser Zigeuner«, nur bis zum Jahr 1933, von da ab galt er als »klassisch westisch«; der Verf. legt Wert auf die Feststellung,
daß A. keinesfalls |134| ein keltischer Typ war, diese Fehldeutung liegt nahe, da bei Kelten helle Augen und dunkles Haar häufig vorkommen; A. fehlte
einfach – wie sich herausstellen wird – die keltische Sensibilität und Phantasie; will man ihn schon rassisch einordnen, so
verdient er nur die Bezeichnung: mißglückter Germane. Er wurde herumgezeigt, hochgehalten, monate-, wahrscheinlich jahrelang
als »süß« bezeichnet, noch bevor er einigermaßen artikuliert sprechen konnte, dachte man sich irrsinnige Karrieren für ihn
aus, künstlerische vor allem, er wurde mit hohen Erwartungen befrachtet: Bildhauer, Maler, Architekt (Schriftstellerei geriet
erst später in den Spekulationsbereich der Familie. Der Verf.). Alles was er tat, wurde ihm ein paar Nummern zu groß gutgeschrieben.
Da er natürlich auch ein »süßer Ministrant« war (der Vorname erübrigt wohl den Konfessionshinweis), sahen Tanten, Kusinen
etc. ihn schon als »Malermönch«; vielleicht gar als »malenden Abt«. Nachgewiesen ist (durch die heute zweiundsechzigjährige
Frau des Gastwirts Commer in Lyssemich sowie von deren Schwiegermutter, der jetzt einundachtzigjährigen Oma Commer, deren
gutes Gedächtnis im ganzen Dorf gerühmt wird), daß der Kirchenbesuch stetig anstieg, solange A. in Lyssemich Ministrant war,
also in den Jahren zwischen 1926 und 1933. »Mein Gott, wir gingen natürlich auch mal werktags öfter und sonntags in die Kristelier
(welche religiöse Übung mit Kristelier gemeint ist, konnte bisher nicht geklärt werden. Der Verf.), es war eben doch zu hübsch,
das Bengelchen zu sehen« (Oma Commer). Es mußten viele Interviews mit Herrn Pfeiffer und seiner Frau Marianne geb. Tolzem
geführt werden. Genügt es, wenn das Ambiente der P.s als »eine Stufe höher« als das ihres Sohnes H. bezeichnet wird: ein etwas
größeres Reihenhaus und das Auto schon vorhanden. P. sen., inzwischen pensioniert, schleppt sein Bein noch immer nach. Da
die P.s |135| sehr mitteilungsbereit sind, machte es keinerlei Schwierigkeiten, von ihnen etwas über A. zu erfahren; alles, was er je produziert
hat, wird wie Reliquien in einer Vitrine aufbewahrt: es waren unter vierzehn vorhandenen etwa zwei, drei Zeichnungen, die
gar nicht so schlecht sind: kolorierte Bleistiftzeichnungen der Landschaft um Lyssemich, deren extreme Flachheit – Niveauunterschiede,
die sogar in Ebenen unvermeidlich sind – durch Bäche etwa entstehende Mulden –, von sechs bis acht Metern gelten schon als
Sensation – scheint A. immer wieder zum Zeichnen provoziert zu haben; da hier immer der Himmel auf der Erde liegt, eine fruchtbare
Erde, hat A. – ob bewußt oder unbewußt, war natürlich nicht auszumachen – das Lichtgeheimnis der niederländischen Malerei
gesucht und auf zwei, drei Blättern sich ihm genähert, wobei er als Lichtquelle originellerweise die Zuckerfabrik aus Tolzem
benutzt, sie näher auf Lyssemich zu verlegt und in ihrem weißen Dampf die Sonne versteckt. P.sche Behauptungen, es habe Hunderte
dieser Zeichnungen gegeben, konnten nicht verifiziert, nur mit Skepsis zur Kenntnis genommen werden. Ein paar Bastelarbeiten
von A.: eine Kakteenbank, ein Schmuckkästchen, ein Pfeifenständer für seinen Vater sowie eine riesige Lampe (Laubsägearbeit)
hinterließen einen, milde ausgedrückt, peinlichen Eindruck; außerdem waren vorhanden: etwa sechs beachtliche Sportdiplome:
Leichtathletik, Schwimmen – eine Belobigung des Fußballclubs Lyssemich. Eine von A. in Werpen begonnene, nach sechs Wochen
abgebrochene Maurerlehre wurde von Frau P. als »Praktikum« bezeichnet, »das an der unzumutbaren Grobheit des Lehrherrn, der
seine Initiativen nicht verstand, scheiterte«. Kürzer: ganz offenbar hatte man mit A. und er mit sich »Höheres« im Sinn.
Es waren auch einige Dutzend Gedichte von A. in einer Vitrine der P.s ausgelegt, die der Verf. lieber unerwähnt |136| läßt; nicht eins, nicht eine Zeile erreichte auch nur mit Abstand die Aussagekraft der von Erhard Schweigert bekannten. Nach
dem abgebrochenen
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