Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)
ihr Vater ist vorläufig spurlos verschwunden. Trifft sie das alles nicht oder sehr? Was wird aus der schicken
Blondine mit dem schicken Auto, die im dritten Kriegsjahr nicht viel mehr zu tun gehabt zu haben scheint, als ein bißchen
Klavier zu spielen, ihrer kranken Mutter irische Märchen vorzulesen, eine sterbende Nonne zu besuchen; die sozusagen zum zweitenmal
Witwe geworden ist, ohne Trauer zu zeigen, nun ihre Mutter verliert, während ihr Vater in den Verliesen verschwindet? Es sind
wenig direkte Äußerungen aus dieser Zeit von ihr bekannt. Der Eindruck, den sie auf alle die gemacht hat, die nahe mit ihr
zusammenleben, ist überraschend. Lotte sagt, Leni sei »irgendwie erleichtert« gewesen, van Doorn sagt, »sie wirkte befreit«,
während der alte Hoyser es so formuliert – »sie atmete irgendwie auf«; das »Irgendwie« in zwei dieser Äußerungen ist natürlich
kümmerlich, öffnet aber auch der Phantasie einen Spalt in Lenis Verschlossenheit. |175| Margret drückte es so aus: »Niedergeschlagen wirkte sie nicht, ich hatte eher den Eindruck, daß sie weiter oder wieder auflebte.
Viel schlimmer als der Skandal mit ihrem Vater und der Tod ihrer Mutter war für sie das mysteriöse Verschwinden der Schwester
Rahel.« Sachlich ist festzustellen, Leni wurde dienstverpflichtet und landete auf Grund der Intervention eines im Hintergrund
arbeitenden Gönners, der »so ein paar Drähte in der Hand hatte«, gern ungenannt sein möchte, dem Verf. aber bekannt ist –
in einer Kranzbinderei.
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Spätergeborene mögen sich fragen, wieso im Jahr 1942/43 Kränze kriegswichtig waren. Die Antwort lautet: um Beerdigungen auch
weiterhin so würdig wie möglich zu gestalten. Kränze waren um diese Zeit nicht gerade so begehrt wie Zigaretten, aber Mangelware
waren sie, daran besteht kein Zweifel, und außerdem waren sie begehrt und für die psychologische Kriegsführung wichtig. Allein
der amtliche Bedarf an Kränzen war enorm: für Bombenopfer, in Lazaretten versterbende Soldaten, und da außerdem auch »hin
und wieder natürlich ein privater Tod eintrat« (Walter Pelzer, der im Ruhestand lebende ehemalige Gärtnereibesitzer, Lenis
damaliger Chef, der jetzt von seinen Liegenschaften lebt) und »ziemlich oft hohe Partei-, Wirtschafts- und Wehrmachtsmenschen
Staatsbegräbnisse in verschiedenen Klassen bekamen«, war jede Art Kranz »vom schlichtesten, sparsam garnierten bis zum rosendurchflochtenen
Riesenrad« (Walter Pelzer) kriegswichtig. Es ist hier nicht der rechte Ort, den Staat in seiner Eigenschaft als Ausrichter
von Beerdigungen voll zu würdigen, als unbestritten historisch, wissenschaftlich |176| nachweisbar, darf gelten, daß es reichlich Beerdigungen gab, Kränze begehrt waren, amtlich und privat, und daß es Pelzer gelungen
war, seiner Kranzbinderei den Status eines kriegswichtigen Betriebes zu sichern. Je weiter der Krieg fortschritt, was bedeutet,
je länger er dauerte (hier wird ausdrücklich auf den Zusammenhang zwischen Fortschreiten und Dauer hingewiesen), desto knapper
wurden natürlich die Kränze.
Sollte »irgendwo« das Vorurteil bestehen, die Kunst, Kränze zu binden, sei unwesentlich, so muß hier – schon um Lenis willen
– energisch widersprochen werden. Bedenkt man, daß es da den Blütenkranz als End- und als Grundform gibt, daß die Einheit
der Gesamtform in jedem Fall gewahrt werden muß; daß es verschiedene Formen und Techniken gibt, einen Kranzkörper zu bilden,
daß beim Bindegrün wichtig ist, welches Bindegrün für welche gewählte Kranzform erkoren wird; daß es allein neun wichtige
Grünarten für die Unterlage, vierundzwanzig verschiedene für die Endform, zweiundvierzig fürs Büscheln, acht fürs Tüllen (Gesamtkategorie
Stekken) und neunundzwanzig fürs Römern gibt, so kommt man auf eine Gesamtzahl von einhundertzwölf Arten des Bindegrüns, und
mögen sich diese auch in den verschiedenen Kategorien ihrer Verwendung überschneiden – so bleiben doch fünf verschiedene Verwendungskategorien
und ein kompliziertes System von Verflechtungen, mag auch das eine oder andere Grün sowohl zum Binden wie für die Endform,
fürs Stecken (das hinwiederum in Büscheln und Tüllen zerfällt) und zum Römern verwendet werden, so gilt doch auch hier die
Grundregel: gewußt wo, gewußt wie. Wer etwa, der da das Kranzbinden schnöde als eine untergeordnete Tätigkeit empfindet, weiß
schon, wann das Grün der Rottanne für die
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