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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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hatte eine ehemalige Genossin eingestellt, deren Mann – oder es war der Liebhaber,
     glaube ich, jedenfalls freie Liebe oder so – war mit Dokumenten von hohem Informationswert nach Frankreich geflohen – und
     so wurde Boris offiziell, ohne daß er oder dieser Pelzer oder diese Kommunistin es ahnen konnten, auf diese Frau angesetzt,
     wie es im Jargon heißt – und die Bestätigung dafür |214| bekam ich wieder von einem Bekannten aus der Abteilung ›Fremde Heere Ost‹ – und was das Wichtigste war, geheim bleiben mußte
     meine Aktivität auch noch, sonst hätte ich das Gegenteil erreicht: die SS wäre auf Boris aufmerksam geworden. Was denken Sie
     sich eigentlich (wiederum dachte der Verf. nichts. Der Verf.), wie schwer es war, für so einen Jungen etwas wirklich Vernünftiges
     zu tun – und nach dem 20. Juli wurde alles schärfer; der Parteibonze verlangte weitere Bestechung – es hing an einem Härchen.
     Wer interessierte sich denn schon noch für das Schicksal des sowjetischen Pionierleutnants Boris Lvović Koltowski?«
     
    Halbwegs darüber belehrt, wie schwierig es selbst Herrn Hochgestellt war, für einen sowjetischen Kriegsgefangenen etwas zu
     tun, nun wieder zurück zu Bogakov, mit Salzgurken bewaffnet und zwei Kinobilletts für den Farbfilm »Ryans Daughter«. Bogakov,
     inzwischen mit dem Schlauch einer Wasserpfeife versehen, den er über die Zigarettenspitze stülpte, und so »bekömmlich« rauchen
     kann, weil er den Schlauch sogar in seiner verkrümmten Hand halten kann (»So brauche ich nicht immer mit meinem gespitzten
     Mund nach der Spitze zu angeln.«), wurde geradezu ausschweifend in seiner Mitteilsamkeit und schreckte auch vor den Mitteilungen
     intimer, ja intimster Dinge, Boris betreffend, nicht zurück.
    »Nun«, so Bogakov, »es hätte gar nicht des gestrengen Viktor Genrichovič bedurft, um ihn auf die historische Unangemessenheit
     der Bekömmlichkeit seines Schicksals aufmerksam zu machen. Was den Jungen am meisten beunruhigte, war diese deutlich spürbare
     unsichtbare Hand, die ihn da von Lager zu Lager geschoben hatte und letztlich in diese Gärtnerei, die neben anderen Vorteilen
     noch einen hatte: sie war gewärmt, ständig geheizt, und das war im Winter 43/44 keine geringe Bekömmlichkeit. Und als |215| er endlich, da ichs ihm zuflüsterte, erfuhr, wer ihn da schob, war er keineswegs beruhigt, und es gab eine Zeit, wo er sogar mißtrauisch gegen das liebe Mädel war, weil er
     glaubte, sie sei von jenem Herrn vorgeschickt und bezahlt. Und es gab da noch etwas, das die geradezu überirdische Sensibilität
     dieses Jungen aufs äußerste strapazierte: die ewige Schießerei in der Nähe seiner so bekömmlichen Arbeitsstätte. Ich will
     hier nicht andeuten, auch nicht im geringsten, der Junge wäre undankbar gewesen, nein, keineswegs – er war selig, aber es
     war nun mal so: die ewige Schießerei machte ihn nervös.«
     
    Man muß hier vergegenwärtigen, daß das Beerdigen von Toten aller deutschen Kategorien an der Jahreswende 43/44 zu immer neuen
     Rekorden herausforderte: nicht nur die Friedhofswärter, Kranzbinder, Pfarrer, redenschwingenden Oberbürgermeister, Ortsgruppenleiter,
     Regimentskommandeure, Lehrer, Kameraden, Betriebsführer – auch die zum Salutschießen abkommandierten Soldaten des Wachbataillons
     mußten permanent in die Luft knallen. Je nach Anzahl der Opfer, nach Todesart, Dienstgrad, Dienststellung, gabs auf dem Zentralfriedhof
     zwischen morgens 7 Uhr und abends 18 Uhr eine Dauerknallerei. (Aussage Grundtsch, der im folgenden wörtlich zitiert wird:)
     »Es klang meistens so, als wäre der Friedhof ein Truppenübungsplatz oder mindestens ein Schießstand. Natürlich soll eine Salutsalve
     wie ein Schuß wirken – ich hab doch selbst 1917 als Landsturmfeldwebel manchmal Salutkommandos geführt –, aber dieser Wunschtraum
     mißlang meistens, es klang wie Dauerfeuer, oder als würde ein neues Maschinengewehr ausprobiert. Daß hin und wieder auch Bomben
     fielen, die Flugabwehr herumknallte, machte lärmempfindlichen Leuten keineswegs Spaß, und wenn wir manchmal das Fenster öffneten
     und die Nase hinaushielten, rochen wirs |216| tatsächlich: Pulverdampf, wenn auch von Platzpatronen.«
     
    Wenn hier dem Verf. ausnahmsweise ein Kommentar gestattet wird, so möchte er darauf aufmerksam machen, daß wahrscheinlich
     hin und wieder auch schießungeübte junge Soldaten abkommandiert waren, und es muß diesen merkwürdig vorgekommen sein,

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