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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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deutschen Großkapitalisten von der schlimmsten Sorte aufzunehmen, um
     für seinen Sohn Bekömmlichkeiten herauszuschlagen. Nun fragen Sie mich nicht, wie Viktor Genrichovič das herausbekommen hat!
     Wahrscheinlich |207| hatten die damals schon Nachrichtensatelliten, die Schweine. Was aber auch rauskam und Boris nie erfahren hat: daß sein Vater
     deswegen geschnappt, verschleppt und mit ihm Krrrkrrr – gemacht wurde. Hatte Viktor Genrichovič also recht oder nicht, als
     er argwöhnte, es gebe nur die Logik der Geschichte und nicht den bürgerlichen Zufall, den mein frommer Freund und Gurkenfresser
     Belenko natürlich Fügung nennen würde? Für Boris’ Vater endete die Sache also höchst unbekömmlich, für Boris nicht, denn nun
     witterte Viktor Genrichovič mehr, als dahinter war: waren diese phantastischen Kleidungsstücke etwa direkt aus der Hand jenes Herrn, von dem sogar bekannt war, daß er gegen den Krieg mit der Sowjetunion war, der für ein kräftiges,
     ewiges, unverbrüchliches Bündnis zwischen Hitler und der Sowjetunion war und es sich sogar hatte leisten können, Boris, seinen
     Vater, seine Mutter und seine Schwester Lydia in Berlin an den Zug zu begleiten, alle herzlich zu umarmen, und Boris’ Vater
     zum Abschied die Duzbrüderschaft anbot? Hatte Boris direkte Kontakte mit diesem Menschen, wenn er in diese komische Gärtnerei
     ging, um Kränze zu flechten und Beschriftungen für die Schleifen an den Kränzen von Faschisten zu erfinden? Nein, nein, nein,
     er hatte keinen Kontakt, nur mit den Arbeitern und Arbeiterinnen, und wie war denn – damit bei dieser verfluchten Bekömmlichkeit
     wenigstens etwas herauskam –, wie war denn deren Stimmung, wie war die Stimmung der deutschen Arbeiter? Drei waren klar dafür,
     zwei verhielten sich neutral, und wahrscheinlich zwei waren, wenn sie es auch nicht direkt ausdrücken konnten, dagegen! Das
     widersprach nun wieder Viktor Genrichovičs Informationen, denen zufolge die deutschen Arbeiter im Jahre 1944 kurz vor einem
     Aufstand waren. Verflucht, ich sage Ihnen, der Junge war in einer komplizierten Situation und hat seine Bekömmlichkeiten teuer
     bezahlt. Er befand sich ganz und |208| gar außerhalb der Logik der Geschichte, und wenn herausgekommen wäre, daß er tatsächlich ne Liebschaft hatte und es ihm später
     sogar gelang, und das mehrmals, bei diesem entzückend schönen Mädchen sämtliche erreichbaren Blumen zu pflücken – um Gottes
     willen. So blieb er hartnäckig dabei, die Geschenke – und die wurden später respektabel – Kleider, Kaffee, Tee, Zigaretten,
     Butter – wurden von einem ihm Unbekannten in einem Torfhaufen für ihn versteckt, und die Nachrichten, sagte er, würden ihm
     von seinem Chef, diesem Blumen und Kränzehändler, zugeflüstert. Nun war Viktor Genrichovič unbelehrbar, aber nicht unbestechlich:
     eine echte Kaschmirweste bekam er geschenkt, Zigaretten und – das war schon ein sensationelles Geschenk – eine winzige Europakarte,
     die aus einem Taschenkalender herausgerissen, geschickt auf ungefähr die Größe eines flachen Bonbons zusammengefaltet war
     – und das war eine Himmelsgabe; wir wußten endlich genau, wo wir waren und wo wir dran waren. Viktor versteckte seine Kaschmirweste
     unter seinem völlig zerfetzten Unterhemd, wo sie, grau wie sie war, wien dreckiger Lumpen wirkte. Die hätte nämlich sogar
     die Begehrlichkeit eines deutschen Wachsoldaten erwecken können und wäre auch für den sehr bekömmlich gewesen. Nun kam die
     Zeit, wo Boris zuverlässige Nachrichten über den Frontverlauf, den Vormarsch der sowjetischen und der alliierten Truppen lieferte
     – und jetzt wurde er geradezu der Bekömmling von Viktor Genrichovič, der solche Nachrichten dringend brauchte, um unsere Moral
     hochzupäppeln – und weil er dessen Bekömmling war, verlor er natürlich das Vertrauen anderer – das versteht sich von selbst,
     wenn man die Dialektik der Gefangenschaft kennt.«
    Um so viel Auskunft von Pjotr Petrovič Bogakov zu bekommen, bedurfte es fünf günstiger Gelegenheiten, mußte der Verf. einen
     Infusionsflaschengalgen kaufen, da der |209| zur Verfügung gestellte hin und wieder zu seiner ursprünglichen Verwendung benutzt wurde; es wurden sogar Kinokarten investiert,
     um Belenko und Kitkin in Farbverfilmungen von »Anna Karenina«, von »Krieg und Frieden« und »Doktor Schiwago« zu schicken,
     Konzertkarten, um ihnen Mstislav Rostropovič nicht entgehen zu lassen.
     
    Hier schien

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