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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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dem Verf. angebracht, jenen hochgestellten Herrn zu belästigen; es mag genügen, wenn hinzugefügt wird, daß es
     sich um einen Namen handelt, vor dem jeder Deutsche in jeder Geschichtsperiode zwischen 1900 und 1970, jeder russische und
     Sowjetfunktionär in der gleichen Geschichtsperiode stramm stehen, vor dem sich heute noch jederzeit sämtliche Kremltore, wahrscheinlich
     sogar die bescheidene Tür zu Maos Arbeitszimmer weit öffnen würde, wenn sie sich nicht schon geöffnet hat. Es ist Leni versprochen
     worden, was sie selbst versprach: den Namen nie und nimmer preiszugeben, selbst nicht unter Tortur.
    Um jenen Herrn günstig zu stimmen, ihn auch um die Gnade evtl. weiterer, späterer Informationsgespräche nicht gerade untertänig,
     aber mit angemessener Demut zu bitten, mußte der Verf. etwa eine Dreiviertelstunde mit der Eisenbahn fahren, in – soviel sei
     verraten – nordnord-östlicher Richtung, er mußte einen Blumenstrauß für die Gattin und für den Herrn eine in Leder gebundene
     Ausgabe des »Eugen Onegin« investieren, trank einige Tassen recht guten Tees (besser als bei den Nonnen, schlechter als bei
     Frau Hölthohne), sprach übers Wetter, Literatur, erwähnte auch Lenis (der Gattin mißtrauische Frage: »Wer ist denn das?« –
     des Herrn ungnädige Antwort: »Ach, du weißt doch, die mit Boris Lvović während des Krieges Kontakt hatte« – ließ den Verf.
     vermuten, daß die Dame Amouröses zu wittern schien) mißliche finanzielle |210| Lage. Es kam dann der Augenblick, wo unvermeidlicherweise Wetter, Literatur und Leni keinen Gesprächsstoff mehr bildeten und
     der Herr, ziemlich brüsk, muß man sagen, deutlich auch sagte: »Mieze, nun laß uns bitte allein«, woraufhin Mieze, nun fest
     überzeugt, der Verf. sei ein Postillon d’amour , das Zimmer verließ, ihre Gekränktheit nicht verbergend.
    Muß der Herr beschrieben werden? Mitte Sechzig, weißhaarig, edel, nicht unfreundlich, aber ernst, in einem Teezimmer von der
     Größe etwa einer halben Schulaula, nimmt man eine Schule mit sechshundert Schülern als Maßstab, Blick in den Park, englischer
     Rasen, deutsche Bäume, der jüngste davon etwa einhundertsechzig Jahre, Teerosenbeete – und über allem, auch überm Gesicht
     des Herrn, sogar über dem Picasso, dem Chagall, dem Warhol und Rauschenberg, über dem Waldmüller, dem Pechstein, dem Purrmann
     – über allem, allem eine gewisse – der Verf. riskierts! – Schmerzlichkeit. Auch hier T., W., L. 2 und S.! Keine Spur von L.1?
    »Es interessiert Sie also, ob dieser Herr Bogakov – ich werde übrigens etwas für ihn tun, vergessen Sie nicht, meinem Sekretär
     Namen und Adresse zu geben – Ihnen zutreffend berichtet hat. Nun: ich kann nur sagen, im großen ganzen ja. Woher dieser Kommissar
     in Boris’ Lager das gewußt, woher er es erfahren haben kann (Schulterzucken) – was Herr Bogakov berichtet, stimmt. Ich habe Boris’ Vater in den Jahren zwischen 33 und 41 in Berlin kennengelernt und mich regelrecht
     mit ihm angefreundet. Das war gar nicht so ungefährlich, weder für ihn noch für mich. Weltpolitisch, gesamtgeschichtlich gesehen,
     bin ich immer noch für eine Allianz zwischen der Sowjetunion und Deutschland, und ich vertrete die Ansicht, daß eine echte,
     herzliche, von gegenseitigem Vertrauen getragene Allianz sogar die – DDR von der Landkarte wegfegen würde. Wir , wir sind es, an denen der Sowjetunion liegt. |211| Nun, das ist Zukunftsmusik. Nun, in Berlin damals galt ich als rot – wars wohl auch, bins noch –, und die Ostpolitik der heutigen
     Bundesregierung kritisiere ich nur deshalb, weil sie mir zu schwach, zu schwächlich ist. Nun, zu Herrn Bogakov – tatsächlich
     bekam ich in meinem Berliner Büro eines Tages einen Briefumschlag überreicht, mit einem Zettel drin, auf dem lediglich stand:
     ›Lev läßt Ihnen ausrichten, daß B. in dtsch. Gefangenschaft ist.‹ Nicht herauszukriegen, wer den Zettel gebracht hat – war
     ja auch nicht wichtig, war unten beim Pförtner abgegeben worden. Nun können Sie sich denken, in welche Erregung ich geriet.
     Ich hatte eine tiefe Zuneigung für diesen aufgeweckten, nachdenklichen stillen Jungen gewonnen, den ich mehrere Male – vielleicht
     ein dutzendmal – in der Wohnung seines Vaters getroffen hatte. Ich habe ihm die Gedichte von Georg Trakl geschenkt, eine Hölderlin-Gesamtausgabe,
     ich habe ihn auf Kafka hingewiesen – ich darf wohl von mir behaupten, daß ich einer der ersten, wenn nicht

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