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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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über
     die Köpfe von Pfarrern, trauernden Hinterbliebenen, Offizieren und Parteibonzen hinwegzuschießen – und sie wurden möglicherweise
     nervös, was ihnen hoffentlich keiner verübeln wird. Gewiß floß da auch manche T., war viel W. zu sehen, S. spürbar, und kaum
     einer der Hinterbliebenen war in der Selbstgewißheit seines Seins unerschütterlich, und der auf manchen Gesichtern deutlich
     sichtbare S. sowie die Aussicht, selbst eines Tages unter Salutschüssen beerdigt zu werden, wirkte wahrscheinlich keineswegs
     beruhigend auf die Soldaten. Die stolze Trauer war gar nicht immer so stolz, es waren täglich auf dem Friedhof einige hundert,
     wenn nicht tausend, Bindehautsäcke in Tätigkeit, es wurde die Kontrolle über Hirnstämme verloren, denn manch einer mag sich
     da in seinem höchsten Lebensgut getroffen gefühlt haben.
     
    Bogakov: »Das Mißtrauen gegenüber dem Mädel dauerte natürlich nicht lange, einen Tag, oder zwei, und nachdem sie ihm die Hand
     aufgelegt hatte, und es ihm passiert war (??), nun – ich meine, Sie wissen doch, wies Männern manchmal ergeht, wenn sie lange
     keine Frau gehabt haben und nicht selber Hand anlegen – ja, ja: so ergings ihm, als das Mädel ihm einfach die Hand auf die
     Hand legte, an dem Tisch, wo sie ihre Kränze hinbrachte. Ja. So wars. Er hats mir erzählt, und obwohl ihm das natürlich schon
     ein paarmal passiert war, aber nur im Traum und nie mit offenen Augen, war er verwirrt und von einem Hochgefühl |217| der Bekömmlichkeit erfüllt. Ich sage Ihnen, der Junge war naiv, puritanisch erzogen, und von dem Zeug, das man Sexualität
     nennt – keine Ahnung hatte er. Und nun kam was raus, was ich Ihnen nur mitteilen kann, wenn Sie mir hoch und heilig versprechen
     (was geschah! Der Verf.), daß dieses Mädel es nie erfährt (Der Verf. ist sicher, daß Leni es sogar erfahren dürfte, sie würde
     sich nicht schämen, wahrscheinlich sogar froh sein, es zu erfahren. Der Verf.) – der Junge war noch nie bei einer Frau eingekehrt.
     (Auf das erstaunte Augenbrauenhochziehen des Verf. hin, weiter:) Ja, so hab ich das immer genannt: bei einer Frau einkehren.
     Er wollte nicht gerade wissen, wie man das macht, denn so viel wußte er ja nun doch, daß da gewisse körperliche Voraussetzungen
     bestehen, sozusagen bekömmlicher Art, die es ziemlich nahe legen, wo man bei gewissen Erregungszuständen mit was hinwill,
     wenn man eine Frau liebt und bei ihr einkehren will. Nun, das wußte er schon, nur – es war da noch ein Detail – verflucht,
     ich hab den Jungen gern gehabt, wenn Sie es wissen wollen« (der Verf. wollte es wissen, der Verf.) »er hat mir das Leben gerettet,
     ohne ihn wär ich verhungert, verreckt, draufgegangen ... auch ohne sein Vertrauen. Mit wem konnte er denn schon reden, verdammt!
     Ich war alles für ihn, sein Vater, sein Bruder, sein Freund – und ich hab nachts dagelegen und vor Angst geweint, als er nun
     wirklich ne Liebschaft mit dem Mädel hatte. Ich habe ihn gewarnt, hab ihm gesagt: ›Gut, deinen Kopf kannst du ja aufs Spiel
     setzen, wenn du sie so wahnsinnig gern hast – aber ihren? Denk doch mal dran, was für sie auf dem Spiel steht – sie kann sich
     nicht drauf rausreden, du hättest sie gezwungen oder vergewaltigt, das glaubt ihr keiner unter den Umständen. Sei doch vernünftig!‹
     ›Vernünftig‹, hat er gesagt. ›Wenn du sie sehen könntest, würdest du nicht von Vernunft sprechen, und wenn ich ihr von Vernunft
     spräche – sie würde mich auslachen. Die weiß, was ich aufs |218| Spiel setze, weiß auch, daß ich weiß, was sie aufs Spiel setzt – aber sie will nichts davon wissen, daß wir vernünftig sind.
     Sie will auch nicht sterben, sie will leben – und sie will, daß wir jede Gelegenheit wahrnehmen, beieinander einzukehren‹
     – das Wort hat er von mir übernommen, zugegeben. Als ich sie dann später sah und näher kennenlernte, sah ich ein, daß Vernunft
     ein dummes Wort gewesen war. Nein, aber da war noch eine Sache, die den Jungen fürchterlich gequält hat. Als winziger Bengel
     von zwei, drei Jahren, während des Bürgerkriegs, hat ihn seine Mutter in einem Dorf in Galizien versteckt, bei ner alten Freundin,
     und diese Freundin hatte ne jüdische Großmutter, die hat den Jungen übernommen, als die Freundin erschossen wurde, und da
     ist er wohl ein, zwei Jahre mit den jüdischen Kindern im Dorf rumgekrochen, dann ist auch diese Oma gestorben, und irgend
     ne andere Oma hat den Jungen

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