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Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition)

Titel: Gruppenbild mit Dame: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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fragte mich: ›Was hast du mir da denn für einen Provokateur angedreht?‹ – nun, es konnte beigelegt werden, aber wieviel
     Schwierigkeiten das gemacht hat. Wieder Bestechungen, wieder der Hinweis auf den Einsatzbefehl der Abteilung ›Fremde Heere
     Ost‹ – aber dann geschah das Fürchterliche: ein Arbeiter sprach Boris an und flüsterte ihm in der Straßenbahn zu: ›Mut, Genosse,
     der Krieg ist so gut wie gewonnen.‹ Der Wachsoldat hörte das und war nur unter den allergrößten Schwierigkeiten dazu zu bringen,
     seine Meldung zurückzunehmen – das |221| hätte den Arbeiter das Leben kosten können. Nein, Dank habe ich fürwahr nicht geerntet. Nur Schwierigkeiten.«
     
    Es erwies sich als notwendig, jenen Herrn noch einmal aufzusuchen, der durchaus das Kaliber hätte, Boris aus der Rolle des
     männlichen Haupthandlungsträgers zu verdrängen: Walter Pelzer, siebzig, in seinem gelb-schwarzen Bungalow am Waldrand. Stark
     vergoldete Metallrehe verzieren die eine, stark vergoldete Metallpferde die andere Hauswand. Er hat ein Reitpferd, einen Stall
     für dieses Reitpferd, er hat ein Auto (gehobene Klasse), seine Frau hat eins (mittlere Klasse), und als der Verf. ihn zum
     zweitenmal aufsuchte (es werden noch mehr Besuche fällig), fand er ihn ganz in seine Defensiv-Melancholie vertieft, die fast
     Reuecharakter hatte. »Da hat man nun seine Kinder was lernen lassen, hat sie studieren lassen: mein Sohn ist Arzt, meine Tochter
     Archäologin – zur Zeit in der Türkei –, und was ist die Folge? Verachtung des elterlichen Milieus. Neureich. Alter Nazi, Kriegsgewinnler,
     Opportunist – was glauben Sie, was ich alles zu hören bekomme. Meine Tochter redet zu mir sogar von der Dritten Welt, und
     nun frage ich Sie: was weiß sie von der ersten Welt? Von der Welt, aus der sie stammt? Ich hab halt viel Zeit zu lesen und
     mach mir auch so meine Gedanken. Schauen Sie sich die Leni an, die sich damals sträubte, mir ihr Haus zu verkaufen, weil ich
     ihr verdächtig war – dann hat sie es Hoyser verkauft, und was macht der in Zusammenarbeit mit seinem cleveren Enkel? Er erwägt,
     ihr den Räumungsbefehl zu schicken, weil sie an Fremdarbeiter vermietet, schon lange die Miete nicht mehr pünktlich oder gar
     nicht bezahlen kann. Hätte ich je, jemals den Gedanken erwogen, Leni aus ihrer Wohnung schmeißen zu lassen? Nie, unter keiner
     Sorte von politischem System. Nie. Ich mache ja gar kein Hehl daraus, daß ich mich gleich in sie verguckt habe, als sie bei |222| mir auftauchte, und daß ichs mit der Ehe nie so genau genommen habe. Mach ich ein Hehl daraus? Nein. Mach ich ein Hehl daraus,
     daß ich ein Nazi war, ein Kommunist, daß ich gewisse ökonomische Chancen, die der Krieg mir in meinem Geschäft bot, wahrgenommen
     habe? Nein. Ich habe – entschuldigen Sie den groben Ausdruck – abgestaubt, wo ich nur konnte. Gebs ja zu. Hab ich aber irgend
     jemand in meinem Betrieb oder außerhalb etwas zuleide getan, nach 33? Nein. Ja vorher bin ich ein bißchen rauh gewesen, gebs
     ja zu. Aber nach 33? Keiner Menschenseele was getan. Kann sich irgendeiner, der bei mir und mit mir gearbeitet hat, beklagen?
     Nein. Und es hat sich auch keiner beklagt. Der einzige, der sich vielleicht hätte beklagen können, wäre der Kremp gewesen,
     aber der ist tot. Ja, den hab ich schikaniert, das geb ich zu, diesen lästigen Fanatiker, der drauf und dran war, mir den
     ganzen Betrieb auf den Kopf zu stellen und das Arbeitsklima endgültig zu versauen. Dieser Idiot wollte doch sofort am ersten
     Tag, als der Russe zu uns in den Betrieb kam, alles auf Untermenschbehandlung schalten. Das fing mit einer Tasse Kaffee an,
     die Leni dem Russen rüberbrachte, bei der Frühstückspause kurz nach neun. Es war ein sehr kalter Tag, Ende Dezember 43 oder
     Anfang Januar 44, und es hatte sich so eingespielt, daß die Ilse Kremer Kaffeeköchin geworden war. Sie war nämlich die Vertrauenswürdigste,
     wenn Sie mich fragen, und dieser doofe Kremp hätte sich mal fragen sollen, wieso eine alte Kommunistin die Vertrauenswürdigste
     für so eine Tätigkeit war. Da brachte doch jeder sein eigenes Kaffeepulver mit, in einer Tüte, und im Kaffeepulver lag schon
     Provokation genug. Manche hatten nur Kaffee-Ersatz, manche hatten 1:10, 1:8, die Leni immer 1:3 gemischt, und ich hab mir
     manchmal den Luxus 1:1 erlaubt, sogar gelegentlich puren Bohnenkaffee: das waren also zehn verschiedene Kaffeepulvertüten,
     zehn verschiedene |223|

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