Grusel Box: Drei Mystery-Thriller (German Edition)
berühren wollte. »Bist du es wirklich?«
»Was von mir übrig ist.«
Sheila drückte Franks Unterarm. Frank wollte Samuel so viele Dinge fragen. Aber sein toter Bruder sprach, bevor er die passenden Worte gefunden hatte.
»Warum hast du mich sterben lassen, Frankie?« Die hohlen Augen wurden Teil der großen Nacht. Die feinen Fäden des Geistes wogten, als ob sie gegen einen Lufthauch kämpften. Dann wandte sich der Geist ab.
Samuel schwebte das steile Ufer hoch und verschwand zwischen den moosigen Felsbrocken. Frank stand auf, seine nasse Kleidung umhüllte ihn wie eine zweite Haut. Er sollte folgen. Das wusste er so sicher, wie er wusste, dass all die Straßen seines Lebens zur roten Kirche führten, zurück zur Nacht seines größten Versagens, vorwärts zu Archer und dem gehängten Prediger und dem Glockenmonster mit seinem Halloween-Lachen. So sicher, wie er wusste, dass es nicht einmal den Toten erlaubt war, in Frieden zu ruhen. Bis Archer es ihnen gestattete.
Und das Ding hinter Archer?
Hatte es einen Namen? Hatte es seinem eigenen Archer, seinem eigenen Gott zu gehorchen?
Egal. Alles, was jetzt zählte, war, dass es Mitternacht wurde. Er nahm Sheilas Hand und half ihr auf die Beine. Stumm begannen sie den Anstieg zur roten Kirche.
Kapitel 21
Ronnies Nase schmerzte.
Nicht so sehr, dass davon das Pulsieren an der Seite seines Kopfes, wo ihn Whizzer getroffen hatte, verschwand, aber mehr als schlimm genug. Whizzer hatte ihn böse angeblickt, als die Days in die Kirche gekommen waren, hatte sogar versucht aufzustehen, aber einer von Whizzers dumpfbackigen Brüdern hatte ihn zurückgehalten. Whizzer grinste über seine Zigarettenkippe hinweg ein Wir seh’n uns nach dem Gottesdienst -Grinsen.
Ronnie präsentierte ihm versteckt seinen Mittelfinger und folgte seiner Mutter in die zweite Reihe. Tim saß zwischen Ronnie und Mom und sah sich mit einem ehrfürchtigen Gesichtsausdruck in der Kirche um. Tim war nicht schwer zu beeindrucken. Ronnie hatte ein wenig gezittert, als er die Treppenstufen zur Kirche hochstieg, aber nun, da er drinnen war und sehen konnte, dass es auch nur eine Kirche wie jede andere war, nur ein bisschen älter, konnte er seine Angst im Zaum halten.
Er erkannte die meisten Menschen in der Kirche, auch wenn er nicht von jedem den Namen wusste. Da saß die unheimliche Mama Bet McFall, die letzte Woche vorbeigekommen war, um Mom ein paar Gläser eingelegte Okraschoten zu verkaufen. Jeder, der überhaupt Okra aß und gar noch einlegte, musste bekloppt sein. Außerdem war sie Archer McFalls Mutter, und Ronnie wusste, dass Archer etwas mit den Problemen zwischen seinen Eltern zu tun hatte.
»Zappel nicht«, flüsterte Mom zu Tim, der vor Aufregung wild mit den Beinen geschlenkert hatte. Er lehnte sich auf der Bank zurück und saß für etwa zwanzig Sekunden still. Dann fingen seine Beine wieder an, sich zu bewegen.
Ronnie blickte seine Mutter an. Sie wirkte glücklich, ihre Augen glänzten im Kerzenlicht, in ihren Mundwinkeln zeichnete sich ein Lächeln ab. Sie hatte seit Jahren nicht mehr so viel gelächelt, niemals in der Baptistenkirche, kaum jemals zu Hause, nicht einmal beim Heimatfestival in der Schule, als Dad sie für einen Clogging-Stepptanz auf die Tanzfläche gezerrt hatte. Aber nun war sie glücklich und sie hielt die Hände über ihr Herz, als wollte sie hineingreifen, es packen und dann verschenken.
Die anderen Gemeindemitglieder flüsterten miteinander und waren ebenso aufgeregt wie Tim. Es stand etwas bevor. Man konnte es in der Luft spüren wie eine schwache Dosis Elektrizität, etwa so wie der Schock, den man bekam, wenn man ein Kabel zwischen den beiden Polen einer Autobatterie berührte. Nicht schlimm genug, um ernsthaft wehzutun, aber mehr als genug, um sich unbehaglich zu fühlen.
Es fühlte sich an wie einer dieser Wendepunkte. Ronnie fand es gar nicht gut, dass so viele Wendepunkte in so kurzer Zeit auftraten. Wenn man sich in zu viele unterschiedliche Richtungen wandte, verknotete man sich und wusste am Ende nicht mehr, in welche Richtung man eigentlich ging.
Mama Bet drehte sich um und lächelte den Days zu. Ihr fehlten drei Zähne und ihr Grinsen sah aus wie das einer makaberen Kürbislaterne. »Ich bin froh, dass du heute kommen konntest, Linda«, sagte sie. Ihre Worte klangen feucht und verschnupft.
»Ich würde für nichts in der Welt darauf verzichten wollen«, antwortete Mom mit diesem leeren und zufriedenen Lächeln.
»Sehe, du hast die
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