Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
weiter. Sie probierte es mit einer anderen Taktik. »Mal was anderes, Mercedes.« Sie erntete einen kurzen, überraschten Blick, wahrscheinlich, weil sie den Vornamen der Frau benutzt hatte. »Wenn Sie nicht von dem Tausch gewusst hätten, wie lang hätten Sie gebraucht, um zu merken, dass ich nicht Cara bin?«
»Ich? Eine Sekunde. Die meisten anderen? Eine ganze Weile länger.«
»So gut kennen Sie sie also.«
Sie lächelte beinahe, zumindest war sie näher dran, als es Vivi bisher bei ihr erlebt hatte. »Ich kenne sie, seit sie ein Kind war, also, ja, ich kenne sie gut.«
Vivi blinzelte sie an und verdaute diese neue Information. »Und jetzt arbeiten Sie für sie?«
»Ich nenne es nicht Arbeit, Miss.« Endlich stand sie auf, ein bisschen wackelig auf den Beinen. »Sie hat mir einen Platz zum Wohnen gegeben, hier auf der Insel, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, und, wie Sie selber sehen, ist es hier sehr schön. Ich sehe mein Leben hier wirklich nicht als Job an, sondern eher als Belohnung für … für alles, was ich für sie getan habe.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie ihr so nahestehen – und Joellen auch, nehme ich an.«
Sie wurde fast zornig. »Ja, ich habe die beiden quasi aufgezogen.«
Ach ja? »Was ist mit ihren Eltern?«
Die ältere Frau holte tief Luft, und ihre schmalen Nasenflügel bebten. »Beide tot, seit vielen Jahren schon. Mr Mugg hatte einen Unfall im Moor, wo er arbeitete. Mrs Mugg starb an Krebs, als die Mädchen im Teenageralter waren.«
Vivis Herz krampfte sich leicht zusammen. Sie teilten ein ähnliches Schicksal: ein Vater, der viel zu früh von ihr gegangen, und eine Mutter, die an Krebs gestorben war. »Und Sie haben die Mädchen aufgezogen?«
»Sonst gab es niemanden, und ich arbeitete damals schon im Moor.«
Vivi runzelte die Stirn. »Welches Moor?«
»Das Cranberry-Moor, das den Muggs gehört hat, hier auf diesem Grundstück. Es ist inzwischen trockengelegt.«
»Die Muggs lebten in diesem Haus?«
Sie lachte beinahe. »Nein, in dem Moorhaus am Rand des Grundstücks. Karen – äh, Cara – hat das hier gebaut, als sie erfolgreich wurde. Ich lebe hier seit dem Tag, an dem es fertiggestellt wurde.«
»Immer hier unten?« In diesem Grab?
Die Haushälterin stand auf und ging zur Küchenzeile, umrundete den Tresen, blieb am Spülbecken stehen und starrte an die triste, fensterlose Wand. »Das hier ist mein Bereich. Ich bin kein Familienmitglied.«
»Wie kam es, dass Sie sie quasi aufgezogen haben?«
Sie schüttelte sich das Wasser von den Händen und faltete ein frisches Geschirrtuch auseinander, um sich daran abzutrocknen. »Ihre Mutter arbeitete als Sekretärin in der Stadt. Ich habe mich um die Mädchen gekümmert, wenn sie nach Hause kamen, schon vom Kindergartenalter an.«
Sie glättete das Handtuch auf dem Tresen und faltete es mit militärischer Präzision. »Sind Sie fertig mit Ihrem Verhör, Ms Angelino? Ich habe das Haus voller Leute, die zweifellos Hunger haben.«
»Ich verhöre Sie nicht«, stritt Vivi ab. »Ich bin fasziniert von dieser Geschichte. Ich wusste, dass Cara in Nantucket geboren und aufgewachsen ist, aber mir war nicht klar, dass es auf diesem Anwesen, geschweige denn auf einer Preiselbeerplantage war.«
»Sie verhören mich. Ich bin doch nicht blöd.«
Lang, der unvermittelt die Tür öffnete, verhinderte mithin die nächste Frage. »Du musst mit mir kommen«, sagte er zu Vivi. »Und Ms Graff? Einer meiner Agenten wird in Kürze hier sein und die Befragung fortsetzen.«
»Ihr Agent kann mich oben befragen«, sagte sie und rauschte an Vivi und Lang vorbei zur Tür. »Ich bin in der Küche.«
Sie marschierte die Treppe hinauf und ließ die beiden zurück, die verdutzt auf die offene Tür starrten.
Lang atmete hörbar aus. »Sie ist ziemlich verschlossen.«
»Absolut nicht.«
»Nicht? Was hast du denn noch rausgefunden?«
»Einiges. Zum Beispiel, dass sie Cara schon seit ihrer Kindheit kennt und sie quasi aufgezogen hat.«
Er runzelte die Stirn. »Das verrät uns auch nicht, wie jemand unbeobachtet in dieses Haus kommen konnte.«
»Das vielleicht nicht«, stimmte sie zu. »Aber ich mache meistens die Erfahrung, dass man, wenn man die persönliche Verbindung zwischen Personen auslotet, oft Antworten auf Fragen bekommt, die einem gar nicht in den Sinn gekommen wären.«
»Trotzdem sagt uns das nicht, wo das Sicherheitsleck ist.«
»Aber es sagt uns eine Menge über die Haushälterin.«
Lang schob ihr eine Hand in den Rücken
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