Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
schnell gegangen.
Wo war sie bloß?
Der Boden unter ihren Füßen war hart wie Beton. Die Wände ebenfalls, und sie lagen dicht beieinander. Ein Tunnel? Ein Durchgang, der zu den Entwässerungsgräben führte? Sie wusste so gut wie gar nichts über Cranberry-Moore, außer dass solche Moos- oder Preiselbeerplantagen von Ablaufrohren durchzogen waren, manche mit Gängen versehen, auf denen die Saisonarbeiter beim Ernten der Früchte laufen konnten.
War sie in so ein Rohr gefallen?
Und – verdammt – hatte Lang das mitbekommen? Sie streckte die Hände aus, um sich zu orientieren, und berührte groben, abgerundeten Beton. Etwas kitzelte an ihren Fingern und sie zog sofort die Hand zurück.
Leicht zitternd wischte sie sich über das Gesicht, nicht sicher, ob sie sich das bloß einbildete, ob es ihr falsches Haar war, oder – Grundgütiger, Spinnen! Sie streifte sich über die Arme. Da waren noch mehr. Mit einem angeekelten Stöhnen presste sie eine Hand vor ihren Mund, um ja keine zu verschlucken. Dann rief sie nach Lang, und ihr erstickter Schrei hallte dumpf in dem engen Verlies wider.
Keine Antwort.
»Lang!« Sie versuchte es erneut, und dieses Mal lauter, so laut, dass es ihr in der Kehle schmerzte.
Der Boden über ihr vibrierte ein wenig, und sie hätte schwören mögen, dass sie den Motor des Quads hörte.
Fuhr er etwa weg? Wenn ja, würde sie ihn umbringen.
Über ihrem Kopf bewegte sich etwas. Sie spähte nach oben, rechnete halb mit einer weiteren Spinne in ihrem Gesicht und sah nichts als absolute Schwärze. Wie tief mochte sie gefallen sein? Der Sturz hatte nicht wehgetan, also konnte es nicht sehr tief sein. War sie in ein Loch gestürzt? In einen Brunnenschacht?
Widerstrebend streckte sie eine Hand nach oben und spürte Luft. Sie rief um Hilfe, doch der Beton schluckte jedes Geräusch. Konnte er sie von hier unten überhaupt hören? Hatte er irgendeine Ahnung, wo sie sich befand? Stand er jetzt vielleicht direkt über ihr auf der morschen Terrasse?
Warum hörte er sie dann nicht?
Wieder schrie sie seinen Namen, und wieder wurde ihr Hilferuf vom Beton geschluckt.
Sie stopfte ihre Hand in die Gesäßtasche von Caras hautenger Jeans, fischte ihr Telefon heraus und betete, dass sie … Kein Signal.
»Scheiße!« Aber wenigstens spendete das Handy ein bisschen Licht. Sie aktivierte den Bildschirm, um sich ihre Umgebung anzusehen, und wünschte sich augenblicklich, sie hätte es nicht getan. Die Wände waren mit dicken Spinnen übersät, und die Öffnung befand sich gut einen Meter zwanzig über ihrer ausgestreckten Hand.
Trotzdem versuchte sie es abermals, getrieben von Panik und aufkeimender Verzweiflung, die sich wie eine dornige Ranke unaufhaltsam um ihre Brust schlang. »Lang, ich bin hier unten!« Doch der Klang ihrer Stimme verhallte im Nichts.
Sie atmete durch die Nase und versuchte, ruhig zu bleiben, roch Schmutz und Schwamm, und den leicht würzigen Duft vertrockneter Beeren. Mit einem Mal erhellte der Handybildschirm ein trichterförmiges Loch, keine sechzig Zentimeter im Durchmesser. Vielleicht hatte sie Glück und dieses Ding führte hier raus.
Hatte sie eine Wahl? Würde es ihr gelingen, nach oben zu krabbeln? Könnte sie es schaffen, zurückzukriechen und sich dabei an den Wänden hochzustemmen?
Sie dankte Gott und dem Stylisten, der Cara empfohlen hatte, sich Stiefel mit Gummisohlen zu kaufen, streckte die Arme aus, das Telefon zwischen den Zähnen, damit sie die Spinnen sehen konnte, und zerquetschte die, die ihr über die Hände huschten. Sie schaffte es keinen halben Meter, dann rutschte sie wieder ab. Verdammt.
Verdammt, es war doch bestimmt nicht der einzige Weg nach draußen, oder?
Sie kauerte sich zusammen und leuchtete in den Tunnel. Eine Ratte huschte davon und tauchte in die gähnende Schwärze auf der anderen Seite. Das hier war bestimmt ein Ablaufrohr, das zur Entwässerung benutzt wurde, als die Plantage noch in Betrieb war.
Also musste es irgendwohin führen. Zu einem Wasserreservoir oder ins Moor.
Großer Gott, mach, dass dieser Albtraum ein Ende nimmt.
Eine andere, mutigere Ratte, ihre Augen vom Licht gebannt, schoss auf sie zu. Vivi krochen eisige Schauer über den Rücken, und sie kämpfte gegen eine Übelkeit an.
»Verpiss dich, Sumpfratte«, sagte sie. »Ich bin fünfzigmal so groß wie du.«
Aber nicht zu groß, um durch jenes Rohr zu krabbeln.
Sie verabscheute den Gedanken, kaum dass er ihr in den Sinn kam. Natürlich führte ein Ablaufrohr
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