Guardian Angelinos (03) – Sekunden der Angst
»Hat Cara es in Auftrag gegeben?«
Mercedes schluckte leicht. »Nein.«
Vivi, die den seltsam gepressten Unterton in deren Stimme bemerkte, schwenkte zu ihr herum. »Wer hat es denn gemalt?«
»Ich.«
»Wirklich?« Ihr prüfender Blick wechselte zwischen dem Bild und der Künstlerin, die es gemalt hatte. Beide passten überhaupt nicht zusammen. »Es ist wirklich« – gefühlvoll – »schön.«
Mercedes’ blaue Augen wurden kalt. »Im Auge des Betrachters vielleicht.«
Was immer das heißen mochte. »Hat Cara je daran gedacht, die Plantage wieder in Betrieb zu nehmen? Wieder Cranberrys anzubauen? Das Haus instand zu setzen?«
Mercedes öffnete die Tür zur Suite und ignorierte das Gemälde. »Hat sie mal, die Idee aber zum Glück wieder verworfen.«
»Zum Glück?« Vivi folgte ihr hinein, und der alte Reporterinstinkt schlug Alarm. »Sie erwähnten aber doch, dass Sie gern dorthin zurückkehren und es besuchen würden, und daher die Verbindung über die Tunnel, richtig? Warum wollen Sie dann nicht, dass das Haus und die Anbaufläche im Moor wieder genutzt werden?«
»Das wird nie passieren.« Sie marschierte zu den Fenstern und begann, Fensterläden im Plantagenstil zuzuklappen, um das frühe Abendlicht abzuschirmen.
Vivi stellte ihre Tasche ab und setzte sich auf die Armlehne eines Sessels, in der Hoffnung, Mercedes zu mehr Mitteilsamkeit zu bewegen. »Mercedes«, meinte sie sanft. »Haben Sie je daran gedacht … wieder rauszugehen?«
Die Schultern der Frau spannten sich an. »Bitte, ich möchte lieber nicht darüber sprechen.« Sie steuerte zum nächsten Fenster.
»Wann waren Sie das letzte Mal unten am Moor?«
»Das ist lange her.«
»Und Cara? Wann war sie das letzte Mal dort?«
»Ich weiß es nicht. Vermutlich, als sie und Joellen diese Architekten und Bauleute dahatten.«
»Demnach hat sie ernsthaft über so was nachgedacht?«
»Joellen hat die Sache früh genug gestoppt.«
»Warum? Will Joellen nicht, dass das Haus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat, wieder schön und bewohnbar ist? Es würde sich doch wunderbar als Gästehaus eignen, oder um dort Partys …«
»Partys?« Mercedes riss entsetzt die Augen auf, eine für sie untypische Reaktion, doch sie hatte sich rasch wieder unter Kontrolle. »Gewisse Dinge und manche Orte müssen einfach so bleiben, wie sie sind«, sagte sie scharf, und an ihrem Hals wurde eine bläulich pulsierende Ader sichtbar, als sie zum nächsten Fenster schritt. »Und gewisse Leute müssen das begreifen.« Peng. »Gewisse Leute, die glauben, etwas gehöre ihnen.« Peng. »Nicht alles, was in einem rechtlichen Dokument steht und unterschrieben und versiegelt auf der Bank liegt, ist auch rechtmäßig.« Peng.
Huch. Das war harter Tobak. »Cara, als Eigentümerin des Hauses, wollte also das Moorhaus instand setzen, und Joellen war dagegen? Wollen Sie das damit sagen?«
Offensichtlich wurde Mercedes klar, dass sie zu viel gesagt hatte, und sie machte dicht. »Brauchen Sie noch was?«
Informationen. Beweise. Die Wahrheit. Und ein paar Stunden mit Lang in diesem Bett. »Nein danke. Ich weiß Ihre Hilfe zu schätzen.«
Sie war kaum aus der Tür, da hatte Vivi schon ihr Handy in der Hand und schickte Chessie eine SMS.
Finde raus, wem dieses Haus und dieses Grundstück gehören.
In weniger als zehn Sekunden schrieb Chessie zurück. Kinderspiel.
Sie lächelte über die prompte Antwort ihrer Cousine und kehrte in den Flur zurück, wo sie erneut das Bild in Augenschein nahm, von einer Künstlerin gemalt, der man es am allerwenigsten zugetraut hätte. Und tatsächlich: In der unteren rechten Ecke standen die winzigen Initialen MG. Mercedes Graff. Nur etwas war komisch an diesen Initialen. Irgendwie fügten sie sich nicht in den Rest des Gemäldes.
Sie ging in die Hocke, um näher an die Ecke zu gelangen, rieb mit der Hand über die Buchstaben und fühlte den dicken Farbauftrag darunter. Viele Farbschichten, als wäre es mehrmals übermalt worden.
Vielleicht hatte Mercedes es in Wirklichkeit gar nicht gemalt. Das hätte Vivi eingeleuchtet, denn diese Frau schien ihr überhaupt nicht fähig zu so viel Gefühl. Nicht »una tedesca« wie Mercedes Graff. Vivi kerbte die dicke Farbschicht behutsam mit ihren Fingernägeln ein und warf schuldbewusst einen Blick über die Schulter.
Als sie sich sicher war, dass niemand sie beobachtete, kratzte sie etwas stärker. Die erste Farbschicht schälte sich ab und gab andere Buchstaben preis, schwarz gemalt und eindeutig Teil
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