Guardian Angelinos: Die zweite Chance (German Edition)
hohe Gartenkunst, aber immerhin keine vor sich hin rostende Waschmaschine in der Einfahrt wie vor dem Haus nebenan.
Die Post, zusammen mit einem Boston Globe , war schon zugestellt, aber noch nicht hereingeholt worden.
Vivi versuchte es mit der Türklingel, die nicht zu funktionieren schien, dann klopfte sie und scharrte mit der Spitze ihres schwarz-weiß karierten Schuhs über den verwitterten Fußabtreter. Sie klopfte noch mal, diesmal fester.
»Komm schon, Billy Boy. Sam wird keine Ruhe geben, bis ich ihr sage, dass ich mit dir geredet habe.« Seufzend ging sie um das Haus herum, blieb stehen, um auf den Zehenspitzen in die leere Garage zu spähen, und ging dann weiter in den Hinterhof, um dort nach einer Spur von ihm zu suchen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Vivi erschrak, als sie die Stimme hörte. Sie gehörte einem blonden Mann mittleren Alters, der für den stolzen Besitzer der rostigen Waschmaschine in der Einfahrt seltsam gediegen aussah.
»Ich suche Mr Shawkins.«
»Der ist bei der Arbeit.«
»Also, wenn Sie nichts dagegen haben, sehe ich mich kurz im Hinterhof um. Eine Freundin von mir meinte nämlich, er wäre heute nicht zur Arbeit gegangen, und ich wollte mich vergewissern, dass bei ihm alles in Ordnung ist.«
»Ich habe ihn weggehen sehen.«
Sie zuckte mit den Achseln und hob beschwichtigend eine Hand. »Ich will hier nicht einbrechen, ehrlich. Nur nach dem Rechten sehen.«
Sie setzte ihren Weg hinter das Haus fort, und als sie die winzige, offenbar selbst gebaute Sonnenterrasse erreichte, drehte sie sich noch mal um, um dem Nachbarn durch die Büsche hindurch noch ein Winken zukommen zu lassen, das »Ich bin keine Kriminelle« ausdrücken sollte, doch er war verschwunden.
Gerade als sie die Hand hob, um an die Hintertür zu klopfen, hielt sie inne und starrte auf den Riegel. Die Tür war nicht vollständig verschlossen. Wahrscheinlich nicht das Allerklügste in einem Viertel wie Roxbury, aber sie klopfte trotzdem.
»Billy! Mr Shawkins, sind Sie da drin?«
Stille.
Sie drückte die Tür ein Stückchen weiter auf, und ihre Muskeln spannten sich an. »Billy? Ich bin Vivi Angelino, Sams Freundin.«
Immer noch kein Laut. Sie ließ das Board auf die Terrasse fallen und griff tief in die Tasche ihrer Cargo-Hose, um die kleine Pistole herauszuholen, die Marc ihr gegeben hatte, als er bei ihrer ersten Besprechung Waffen verteilt hatte, als handele es sich dabei um Visitenkarten, und es jagte ihr Schauer der Erwartung und der Nervenanspannung über den Rücken.
Sollte sie hineingehen? Sollte sie auf Nummer sicher gehen und die Pistole vor sich halten? Die Rolle der Privatdetektivin und Verbrechensaufklärerin fühlte sich noch sehr ungewohnt an. Aber das hier war wie ein Testlauf. Billy hatte schließlich nichts mit dem Sterling-Mord zu tun, oder? Vielleicht war er verletzt oder krank, vielleicht war auch etwas Ernsteres passiert, ein Herzanfall oder so. Vielleicht hatte er deswegen gewollt, dass Sam vorbeikam, sie aber nicht mit Einzelheiten beunruhigen wollen.
Sie rief noch einmal nach ihm, dann stieß sie die Tür auf und betrat einen kleinen Windfang, in dem ein paar Jacken hingen und ein Kleiderschrank stand. Die Tür zu ihrer Linken führte vermutlich in die Garage, und auf der anderen Seite befand sich eine winzige Küche, die durch zugezogene Jalousien nächtlich verdunkelt worden war und leicht nach dem Hühnchen von gestern Abend roch, aber sauber und ordentlich war.
»Billy?«, rief sie, so laut, dass sie in dem ganzen kleinen Haus zu hören sein musste.
Immer noch Stille. Die Pistole wog schwer in ihrer Hand, und sie fühlte sich, als hätte sie womöglich eine Spenser -Wiederholung zu viel im Fernsehen gesehen. Sie durchquerte die Küche und kam an einem Miniatur-Esszimmer vorbei, wo ein Tisch für vier Personen mit einem Spitzentischtuch gedeckt war. Billy schien nicht allein zu leben. Billige Seidenblumen im Wohnzimmer bestätigten eine weibliche Hand in diesem Haus.
Sie sah sich im abgedunkelten Flur um. Eine der Türen musste die Kellertür sein, die anderen führten in zwei Schlafzimmer und ein Badezimmer. Das war’s. Das war das ganze Haus.
Noch einmal rief sie nach ihm, dann ging sie den Flur entlang. Ein Schlafzimmer war voll mit Kisten und Gerümpel, eindeutig ein Abstellraum. Im anderen war gerade genug Platz für eine Kommode und ein Doppelbett, dessen Decke säuberlich zurückgeschlagen war, als würde sich jeden Moment jemand hineinlegen wollen. Ein Buch lag offen
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