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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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rechts neben mich in die Verteidigerbank. Es gefiel mir, dass sie dort saß, es gab mir eine gewisse Sicherheit.
    Den Anfang machte der Gerichtsmediziner. Er bestätigte, was er in seinem Autopsiebericht geschrieben hatte. Das Kind war erstickt. Genaueres konnte er dazu nicht sagen, denn ein Erstickungstod konnte mehrere Ursachen haben.
    Tod durch Erwürgen schied aus, da der Hals des Kindes keine Spuren von Gewaltanwendung aufwies. Aber es konnte mit einem auf Mund und Nase gedrückten Kissen erstickt worden sein oder an Sauerstoffmangel gestorben, beispielsweise im Kofferraum eines Wagens. Es war auch möglich – in der Fachliteratur fanden sich mehrere Fälle dieser Art – dass die Erstickung Folge einer oralen Vergewaltigung war.
    Allerdings hatte man keine Spuren von sexueller Gewaltanwendung gefunden, und die Suche nach Samenflüssigkeit war ebenfalls negativ verlaufen. Als man das Kind fand, war es vollständig angekleidet gewesen, und zwar mit denselben Kleidern, die es im Augenblick seines Verschwindens getragen hatte.
    Im Übrigen musste das Kind bereits tot in den Brunnen geworfen worden sein, denn in seinen Lungen war kein Wasser.
    Ich hatte kein besonderes Interesse daran, den Arzt meinerseits zu vernehmen, und beschränkte mich darauf, ihn präzisieren zu lassen, dass die Möglichkeit einer oralen Vergewaltigung reine Theorie war und es keinerlei Hinweise auf Gewalt oder gar eine Vergewaltigung gab.
    Nach dem Gerichtsarzt rief der Staatsanwalt Maresciallo Lorusso, den Vize-Kommandanten der Carabinieri von Monopoli, in den Zeugenstand. Er war unter allen Fahndern der wichtigste Zeuge, denn die Untersuchungsberichte waren praktisch alle von ihm verfasst worden. Ich kannte den Mann seit vielen Jahren, hatte schon oft in Prozessen mit ihm zu tun gehabt und wusste, dass er eine harte Nuss war. Mit seiner Nickelbrille und dem schütteren, flachsblonden Haar sah er aus wie ein Angestellter oder Lehrer; Jacke und Krawatte waren billige Konfektionsware. Auf den ersten Blick wirkte Lorusso harmlos. Seine Augen – soweit man sie hinter den Gläsern der Nickelbrille erkennen konnte – verrieten jedoch Intelligenz und Kälte. Ursprünglich im Dezernat zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität von Bari, war er in eine unangenehme Geschichte verwickelt gewesen. Angeblich hatte er zusammen mit einem Hauptmann und einem weiteren Offizier einen Häftling misshandelt. Alle drei wurden versetzt, und Lorusso durfte zwei Jahre lang Rekruten an einer Militärschule ausbilden. Keine schlecht gewählte Strafe für einen Bullen wie ihn.
    Die Befragung des Staatsanwalts dauerte über eine Stunde. Der Zeuge berichtete von der Suche nach dem Kind, von den Verhören im Laufe der Ermittlungen, von der Festnahme Abdous, von der Hausdurchsuchung. Er wusste über alles Bescheid.
    Seine Aussage war klar und aufschlussreich. Ja, Lorusso war ein Carabiniere, der sich auf sein Handwerk verstand.
    Der Rechtsanwalt, der die Familie des Jungen vertrat, hatte wie immer keine Fragen und schloss sich in allem der Staatsanwaltschaft an. Dann erteilte der Vorsitzende mir das Wort.
    »Guten Tag, Maresciallo.«
    »Guten Tag, Avvocato.« Er antworte, ohne zu mir herüberzublicken. Wie gesagt, er war intelligent. Und er wusste, dass meine Freundlichkeit einzig auf die Geschworenen abzielte.
    Lass die Mätzchen, Avvocato, und zeig, was du kannst. Das wollte er mit seinem Gruß sagen. Na gut, dachte ich.
    »Würden Sie uns noch einmal genau sagen, welche Funktion sie ausüben, Maresciallo?«
    »Ich bin Vize-Kommandant des Einsatzkommandos der Carabinieri von Monopoli.«
    »Und welche Funktion hatten Sie davor?« Ich wollte lieber gleich zum Punkt kommen.
    »Was hat das mit unserem Prozess zu tun, Avvocato?« Touché.
    »Bitte, seien Sie so freundlich, und sagen Sie dem Gericht, welche Funktion Sie vorher hatten, Maresciallo.«
    Er zögerte einen Moment, schien den Staatsanwalt anschauen zu wollen, dann presste er kurz die Kiefer zusammen und antwortete.
    »Ich war Ausbilder beim Rekruten-Bataillon der Carabinieri von Reggio Calabria.«
    »Das heißt, sie gehörten vorher nicht der Kriminalpolizei an, wenn ich recht verstehe.«
    »Nein.«
    »Und davor?«
    An diesem Punkt griff Cervellati ein.
    »Einspruch, Herr Vorsitzender. Ich verstehe nicht, was die früheren Funktionen von Lorusso mit unserem Prozess zu tun haben.«
    Der Vorsitzende wandte sich an mich.
    »Was haben die früheren Funktionen des Zeugen mit diesem Prozess zu tun,

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