Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Bücherregal? Maresciallo, ich verstehe, dass es nach einem Jahr nicht leicht ist, sich an so etwas zu erinnern, aber ich bitte Sie, Ihr Gedächtnis anzustrengen...«
»Ich erinnere mich nicht. Bestimmt gab es da Bücher, aber ob sonst noch was drin war, weiß ich nicht mehr.«
»Sie haben sicher verstanden, Maresciallo, worauf ich hinaus möchte. Mich interessiert, wie viele Bücher sich, grob geschätzt, in diesem Zimmer befanden. Ich weiß es, aber ich hätte gerne, dass Sie sich daran erinnern.«
»Das Regal hatte mehrere Fächer, und in allen standen Bücher, wie viele weiß ich nicht.«
»Sie haben aber nur die Bücher beschlagnahmt, die im Protokoll aufgelistet sind. Warum?«
»Vermutlich waren das die einzigen, die etwas mit dem Gegenstand unserer Ermittlungen zu tun hatten.«
»Weil es Kinderbücher waren?«
»Natürlich.«
»Verstehe. Ich würde jetzt gerne noch über das Foto sprechen, auf dem Herr Thiam mit dem kleinen Francesco zu sehen ist. Was können Sie mir zu diesem Bild sagen?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht.«
»Hatte Herr Thiam nur dieses Foto in seinem Zimmer oder erinnern Sie sich, noch andere Fotos gesehen zu haben?«
»Nein, daran erinnere ich mich nicht. Wir haben die Hausdurchsuchung zu dritt durchgeführt, ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich oder einer meiner Kollegen das Bild gefunden hat.«
»Dann würde ich Ihnen mal gerne etwas zeigen.« Ich zog einen großen Umschlag aus meiner Tasche, öffnete ihn ohne Eile und bat den Vorsitzenden um Erlaubnis, dem Zeugen ein paar Fotos vorzulegen. Er nickte.
»Sehen Sie diese Bilder, Maresciallo? Wenn Sie uns bitte erst einmal sagen würden, ob Sie jemanden darauf erkennen?«
Lorusso betrachtete die Bilder, die ich ihm gereicht hatte – etwa dreißig Stück – und antwortete dann.
»Auf vielen ist der Angeklagte zu sehen. Die anderen Personen kenne ich nicht.«
»Können Sie ausschließen, beziehungsweise sich daran erinnern, diese Bilder im Zimmer des Angeklagten gesehen zu haben, als sie es durchsuchten?«
»Weder noch.«
Das war der Moment, aufzuhören, so sehr ich auch versucht war, weiterzufragen. Aber eine Frage mehr wäre eine Frage zu viel gewesen.
»Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Vorsitzender, beantrage aber noch die Aufnahme der Fotos, die ich gerade dem Maresciallo gezeigt habe, als Beweismittel.«
Ich ging herum und zeigte die Fotos dem Staatsanwalt und der Nebenklägerseite. Sie hatten keine Einwände, obwohl Cervellati mich mit deutlich spürbarem Abscheu ansah. Dann steckte ich die Bilder in den Umschlag zurück und übergab sie dem Vorsitzenden.
Lorusso verabschiedete sich von Gericht und Staatsanwaltschaft und trat ab. Mich übersah er bewusst – ich konnte es ihm nicht verübeln.
Der Vorsitzende ordnete eine zehnminütige Pause an, und erst in diesem Moment merkte ich, dass Margherita die ganze Zeit über neben mir gesessen hatte, ohne ein Wort zu sagen.
Ich fragte sie, ob sie Lust hätte, einen Espresso trinken zu gehen. Sie nickte. Ich hätte sie gern gefragt, was sie von dem Ganzen hielt. Und auch, wie sie mich fand, aber dann überlegte ich mir, dass das infantil war und so verkniff ich mir die Frage.
Doch in dem Moment, in dem wir die für ihren schlechten Kaffee berühmte Bar des Gerichtsgebäudes betraten, begann sie zu sprechen
Sie hatte das Verhör interessant gefunden. Auch wenn du ein ganz anderer Mensch warst, sagte sie. Ich sei gut gewesen, aber, wie sollte sie sagen, nicht gerade sympathisch. Ob es denn wirklich nötig gewesen sei, den Maresciallo so zu demütigen?
Ich wollte schon erwidern, dass ich nicht den Eindruck hatte, ihn gedemütigt zu haben, dass solche Prozesse aber immer etwas brutal waren. Diese Brutalität war so etwas wie ein Tribut, ohne den man nicht auskam, und ein gedemütigter Carabiniere oder Polizist waren immer noch besser als ein unschuldig Verurteilter.
Glücklicherweise verbiss ich mir jeglichen Kommentar dieser Art und dachte eine Weile nach, bevor ich ihr antwortete. Ich wisse nicht, ob das wirklich nötig gewesen sei, sagte ich schließlich. Ich wisse nur, dass es wichtig war, diese Dinge ans Licht zu bringen. Vielleicht hätte man das auch auf andere Art und Weise tun können, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls zeige man sich in solchen Situationen, in so heiklen Prozessen, noch dazu, wenn es so viel Medienrummel gab, sehr leicht von der schlechtesten Seite, meinte ich. Und genauso leicht könne es einem passieren, dass man sich daran
Weitere Kostenlose Bücher