Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Lieblingsthema war das Vögeln . Darin war er ein echter Spezialist, wenigstens theoretisch.
Früher war er ein wirklich netter Kerl gewesen. Der geborene Komiker. Einer, der mit Schimpfwörtern nur so um sich warf, aber auf eine Art und Weise, dass man einfach lachen musste. Einer, der mit einem anderen Beruf vielleicht glücklich geworden wäre oder so was Ähnliches. Stattdessen war er Rechtsanwalt geworden. Sein komisches Talent hatte sich im Lauf der Jahre verflüchtigt, zusammen mit seinen Haaren und allem, was wir an ihm geschätzt hatten. Alberto warf noch immer mit Schimpfwörtern um sich, aber – dachte ich an diesem Morgen – er brachte damit schon lange niemanden mehr zum Lachen. Er war verzweifelt, auch wenn er es selbst nicht wusste.
»Es gibt nichts zu erzählen, Alberto, wirklich. Bei mir läuft gar nichts.«
»Was, ausgerechnet jetzt, wo du alleine bist und echt die Sau rauslassen könntest?«
»Ja. Das Leben ist seltsam, nicht wahr?«
»Guido, du bist doch nicht etwa schwul geworden, oder?« Und dann erzählte er mir die Geschichte eines Mannes, den ich seines Erachtens kennen musste, wenigstens entfernt. Ich kannte ihn nicht, aber das sagte ich Alberto nicht. Dieser Typ – ein gewisser Marco -, war verheiratet und sogar Vater eines Kindes. Aufgrund irgendwelcher Anhaltspunkte gelangte seine Frau eines Tages zu der Überzeugung, er habe eine andere. Also setzte sie einen Privatdetektiv auf ihn an. Der Mann leistete gute Arbeit und deckte binnen kurzem die Liebschaft und das ganze Drumherum auf. An der Sache war nur ein kleiner Haken. Der Typ hatte nämlich keine Freundin, sondern einen Freund . Einen Metzger.
»Verstehst du, Guido? Verflixt noch mal. Die Frau denkt, er ist ein geiler Sack, der sich an junge Mädels ranmacht, und der Typ lässt sich von einem Metzger den Arsch aufreißen! Begreifst du? Von einem Metzger. Vielleicht hat er ihm sogar noch Salami für die Brotzeit danach mitgebracht... Du bist doch hoffentlich nicht auch unter die Schwulen gegangen und lässt dir von irgendeinem Fleischer den Arsch aufreißen?«
Nein, ich beruhigte ihn, ich sei nicht unter die Schwulen gegangen, und meinen Arsch hütete ich auch nach Möglichkeit.
Wir waren inzwischen vor dem Haupteingang des Gerichts angelangt – der Moment, uns zu verabschieden und jeder seiner Arbeit nachzugehen. Was ich davon hielt, mal wieder einen Abend mit allen Freunden auszugehen? Er nannte lauter Namen, die mir kaum noch etwas sagten. Eine Pizza essen oder eine Runde Poker spielen. Ja, das mussten wir unbedingt machen. Ja, wir würden diese Woche oder spätestens nächste telefonieren. Ciao, Guido – hat mich verdammt gefreut, dich mal wieder zu sehen. Ciao, Alberto. Mich auch.
Er ging zum Aufzug, der ihn in den fünften Stock, zum Zivilgericht, hinaufbrachte. Ich blieb stehen, sah ihm nach und dachte daran, dass wir irgendwo, im Strudel der Zeit, einmal Freunde gewesen waren, echte Freunde.
Es kam mir unglaublich vor.
Addio, Alberto, kam es mir über die Lippen. Leise, doch vernehmbar für jemanden, der in diesem Moment neben mir stand.
Doch da stand niemand.
Vor Eröffnung der Verhandlung sprach ich mit Abdou. Ich musste wissen, ob die Idee, die mir am Strand gekommen war, Sinn hatte und uns weiterbringen konnte.
Sie konnte. Vielleicht hatten wir jetzt eine Möglichkeit mehr, aber für Begeisterung war es zu früh, ich versuchte, erst gar keine aufkommen zu lassen. Manche Ideen scheinen zunächst brillant, funktionieren dann aber in der Wirklichkeit nicht. Und dann ist man enttäuscht.
Das hatte ich oft erlebt. Allerdings nicht oft genug, um zu resignieren.
Margherita erschien Punkt halb zehn. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln aus dem Zuschauerraum. Ich gab ihr ein Zeichen, sich neben mich zu setzen, aber sie schüttelte den Kopf und wehrte mit den Händen ab, wie um zu sagen, sie sitze dort ganz gut. Da ging ich zu ihr.
»Steht dir gut, die Robe«, meinte sie.
»Danke. Setz dich doch neben mich. Das darfst du, schließlich hast du das Anwaltsexamen abgelegt.«
Sie lachte kurz auf.
»Was das betrifft, bin ich sogar an der Anwaltskammer eingeschrieben. Mein Vater wollte die Hoffnung nie aufgeben und zahlt jedes Jahr den Mitgliedsbeitrag für mich. Wenn ich wollte, könnte ich jeden Moment als Anwältin anfangen.«
»Ausgezeichnet. Dann komm und setz dich neben mich. Du wolltest dir doch den Prozess anschauen – einen besseren Platz gibt es nicht.«
Sie nickte, kam mit und setzte sich
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