Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
nicht darüber ausfragen, wie er ein Protokoll aufgenommen hat, ob er dazu ein Tonbandgerät oder einen Stift oder einen Computer benützt hat. Das ist unzulässig!«
»Herr Vorsitzender, ob das unzulässig ist oder nicht hat mit Sicherheit nicht der Staatsanwalt zu entscheiden. Uns geht es lediglich darum, zu verstehen, wie bestimmte Aussagen protokolliert wurden. Und das nur, weil wir ausschließen möchten, dass es – wenn auch unfreiwillig, denn keiner zweifelt an den guten Absichten der Ermittler -, dass es also zu einer Beeinflussung der Zeugen oder zu Fehlinterpretationen ihrer Aussagen kam. Vergessen wir nicht, dass der Staatsanwalt Sie gebeten hat, das Protokoll über die Aussagen der beiden Senegalesen verlesen zu lassen, die in der Ermittlungsphase...«
Zavoianni unterbrach mich. Auch er wurde langsam ungehalten. Er hatte etwas gegen all die Probleme, die ich da aufwarf, er hatte etwas gegen meine Vorgehensweise und – ich hatte es immer schon geahnt – er hatte ganz entschieden etwas gegen mich.
»Avvocato, jetzt reicht es. Ich bin nicht bereit, mir Ihre zusammenhanglosen Fragen noch länger anzuhören. Kommen Sie endlich zur Sache, und fragen Sie nach Dingen, die uns hier interessieren!«
Während ich den Vorsitzenden ansah, konnte ich hören, wie Lorusso vor Erleichterung einmal kräftig ein- und ausatmete.
»Herr Vorsitzender, meines Erachtens wäre es sehr wichtig, herauszufinden, warum die Zeugenvernehmungen nicht ausführlich protokolliert wurden. Insbesondere die der beiden Senegalesen, die wir hier nicht noch einmal anhören können, weil sie unauffindbar sind.«
»Avvocato, ich habe meine Entscheidung getroffen. Und ich möchte Sie bitten fortzufahren, ohne meine Entscheidungen in Frage zu stellen.«
Ich biss einmal kurz die Zähne zusammen, dann sprach ich weiter.
»Danke, Herr Vorsitzender. Maresciallo, Sie waren auch bei der Durchsuchung des Zimmers anwesend, in dem der Angeklagte gewohnt hat. Was können Sie uns darüber berichten?«
»Was genau möchten Sie wissen?«
»Ihre Vorgehensweise, ob Sie etwas Bestimmtes gesucht haben, in welchem Zustand sich das Zimmer befand, alles.«
»Ich verstehe Ihre Frage immer noch nicht. Was soll ich zu unserer Vorgehensweise groß sagen? Wir haben das Zimmer von Herrn Thiam durchsucht, wie man das eben so macht, man schaut überall nach, man sucht nichts Bestimmtes, man guckt einfach, ob man irgendetwas findet, was für die Ermittlungen von Bedeutung sein könnte. So sind wir auf das Foto von dem Angeklagten mit dem Kind gestoßen, und auf die Kinderbücher, die im Protokoll aufgelistet sind.«
»Sonst haben Sie nichts gefunden, was für die Ermittlungen wichtig gewesen wäre?«
»Nein.«
»Andernfalls hätten Sie es mitgenommen.«
»Natürlich, andernfalls hätten wir es mitgenommen.«
»Haben Sie vielleicht eine Polaroidkamera oder sonst irgendeine Kamera oder einen Fotoapparat gefunden?«
»Nein.«
»Gut, dann würde ich jetzt gern kurz über die Bücher sprechen. Dem Hausdurchsuchungsprotokoll entnehme ich, dass Herr Thiam in seinem Zimmer folgende Bücher hatte: drei Harry Potter -Romane, den Kleinen Prinzen , Erzählungen für Kinder in französischer Sprache, die bekannte Geschichte von Pinocchio , sowie ein weiteres Kinderbuch mit dem Titel Doktor Dolittle . Ist das richtig?«
»Ja.«
»Hatte Herr Thiam nur diese Bücher in seinem Zimmer?«
»Das weiß ich jetzt nicht mehr genau. Vielleicht gab es auch noch andere Sachen.«
»Meinen Sie mit anderen Sachen andere Bücher?«
»Ja, ich glaube, es gab noch ein paar Bücher.«
»Wie viele ungefähr – können Sie uns das sagen?«
»Ich weiß nicht. Fünf, sechs, zehn.«
»Würde es Sie wundern, wenn ich Ihnen sage, dass Herr Thiam in diesem Zimmer über hundert Bücher hatte?«
»Einspruch«, rief der Staatsanwalt, »der Zeuge wird nach seiner persönlichen Meinung gefragt und das ist unzulässig.«
»Ich formuliere meine Frage anders, Herr Vorsitzender. Sind Sie sicher, Maresciallo, dass es in diesem Zimmer nicht weit mehr als zehn Bücher gab?«
»Zwanzig vielleicht, aber bestimmt nicht hundert.«
»Ich wüsste gerne, wie das Zimmer eingerichtet war, insbesondere, ob es dort Regale gab. Können Sie uns das sagen?«
»Das ist jetzt fast ein Jahr her, aber es gab ein Bett, einen Nachttisch... ja, vielleicht war neben dem Bett auch ein Bücherbord.«
»Nur ein Bord oder ein richtiges Bücherregal?«
»Vielleicht... ein kleines Bücherregal, ja.«
»Und was war in dem
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