Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
wiederholte, dass wir uns seit vier Jahren nicht gesehen hatten, und da fing sie wirklich an, ganz verzweifelt zu weinen. Sie fragte mich, weshalb ich so gemeine Sachen zu ihr sagte, und ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, weil sie wirklich einen sehr verzweifelten Eindruck machte. Ich wurde traurig und wollte die Augen öffnen, denn irgendwie wusste ich, dass das nur ein Traum war. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, diesen seltsamen Grenzzustand zu überwinden.
Bis mir plötzlich jemand Wasser ins Gesicht und auf die Brust spritzte und eine Stimme ertönte, die ich sofort erkannte. Elena.
»Guido! Guido, Mein Gott, haben wir uns lange nicht gesehen!«
»Elena, wie schön...«
Lügner, mieser Lügner, dachte ich wortwörtlich. Ich hatte Elena schon immer gehasst. Sie und ihren entsetzlichen Ehemann und alle ihre entsetzlichen Freunde. Sie war mit Sara aufs Gymnasium und später zur Uni gegangen und hielt sich für ihre beste Freundin. Sara war da anderer Meinung, wollte aber nicht unhöflich sein. So waren wir regelmäßig gezwungen gewesen, Elenas Einladungen zum Abendessen anzunehmen und bisweilen sogar zu erwidern.
Sie beugte sich zu mir herunter, um mich zu umarmen, und hüllte mich dabei in eine Wolke Opium. Opium am Meer? Ich wusste aus sicherer Quelle, dass sie nach unserer Scheidung viel über mich gesagt hatte und dass nichts davon freundlich gewesen war. Wie es zu ihrer Rolle gehörte, kam sie jetzt auf mich zu, küsste und umarmte mich und wollte wissen, was ich in all diesen Monaten angestellt hätte.
»Toll siehst du aus, Guido! Bist du etwa den Winter über ins Sportstudio gegangen? Und... noch alleine, oder hast du eine Freundin?« Verschmitztes Augenzwinkern, das ungefähr so viel bedeutete wie: Mir kannst du’s ruhig verraten, ich werde mich darauf beschränken, die Sache per Annonce bekannt zu geben und ein paar hundert Plakate in der Stadt aufzuhängen.
»Ja, blöde Kuh, ich bin alleine und würde es auch gern bleiben. Aber wo du schon mal da bist, um mir auf den Sack zu gehen, will ich dir gleich noch ein paar Dinge flüstern, also hör gut zu. Deine Einladungen waren immer eine Tortur für mich, und das Essen absolut widerlich. Wie die anderen dazu kommen, deine Kochkünste zu loben, ist mir ein Rätsel. Du bist unausstehlich, dein Mann ist noch unausstehlicher und eure Freunde sind das absolute Nonplusultra – sie haben mir doch tatsächlich vorgeschlagen, in den Rotary Club einzutreten! Ich wollte dir nur sagen, dass ich Kommunist bin. Jawohl, meine Liebe, du hast jahrelang einen Kommunisten zum Abendessen eingeladen. Kapiert?«
All das und noch viel mehr hätte ich ihr gern gesagt. Stattdessen antwortete ich ihr natürlich scheißfreundlich. Ja, ich war allein, nein, ich hatte keine Freundin, doch, das war mein Ernst, nein, Sara hatte ich ewig nicht mehr gesehen. Ach, sie war alleine am Strand. Mario und sie hatten Probleme? Na, das wunderte mich bei Mario nicht. Und bei ihr hätte es mich im Übrigen auch nicht gewundert. Wir müssten demnächst mal einen Abend miteinander ausgehen? Sie und ich? Aber klar doch. Ob ich ihre Handynummer hatte? Doch, die hatte ich bestimmt. Das konnte nicht sein, weil sie eine neue hatte? Gut, dann musste ich sie mir aufschreiben. Dann würde ich sie also anrufen? Sie verließ sich darauf. Ja, versprochen. Bestimmt. Ciao, bis bald, Küsschen, Opium , noch ein Küsschen und Gran Finale mit Augenzwinkern.
Ich ging ins Wasser, um zu sehen, wie die Temperatur war und den ekligen Opium- Geruch loszuwerden. Das Wasser war verdammt kalt. Klar, es war ja auch erst Mitte Juni und bisher noch keinen Tag richtig heiß gewesen. Ich schwamm ein paar Züge, fand, dass das fürs erste Bad der Saison genügte und beschloss, einen Strandspaziergang zu machen.
Es gab auch jetzt schon Leute, die Holzschlägertennis spielten, wenn auch nicht so viele wie im Juli und August. Ich hätte sie am liebsten umgebracht. Noch hätte ich mich mit einem raschen Tod zufrieden gegeben, schließlich war es noch früh im Sommer. Später, im Juli oder August, musste es schon ein qualvoller sein.
Ich hasse Holzschlägerspieler, aber während ich so vor mich hin schlenderte und darauf bedacht war, sie so viel wie möglich zu stören, indem ich ständig die Schusslinien ihrer Bälle kreuzte, entdeckte ich plötzlich ein Wesen, das ich noch mehr hasse als die Holzschlägerspieler: den Pfeife rauchenden Strandbesucher.
Ich habe ganz allgemein nicht viel
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