Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Gegen neun war ich in Neapel. Dort bin ich zu einem Lager beim Gefängnis von Poggioreale gefahren, wo ich die Ware immer abhole, und habe mein Auto voll geladen. Danach bin ich tatsächlich in die Nähe des Bahnhofs gefahren und habe bei meinen Freunden den Stoff, also das Haschisch, gekauft. Ich hatte das Geld dabei, das wir in Bari zusammengelegt hatten...«
»Warum sind Sie extra nach Neapel gefahren, um Haschisch zu kaufen? Gibt es hier in Bari keines?«
»Doch, aber hier gibt es vor allem Gras, Marihuana aus Albanien. Die Freunde in Neapel haben besseren Stoff und sie machen mir einen guten Preis – nicht mehr, als sie selbst bezahlen. Ich musste ja sowieso nach Neapel, wegen der Ware...«
»Was für einen Vorzugspreis machen Ihnen denn diese Drogenhändler, mit denen Sie da befreundet sind?«
»Eine Million Lire für ein halbes Kilo.«
»Und später haben Sie den Stoff dann in Bari unter die Leute gebracht.«
»Nein, ich verkaufe kein Haschisch. Wir kaufen es gemeinsam, teilen es unter uns auf und rauchen es selbst.«
»Um wie viel Uhr sind Sie aus Neapel zurückgekommen?«
»Am späten Nachmittag. Ich weiß nicht genau, um wie viel Uhr. Als ich bei meinem Freund abgeladen habe, war es noch hell.«
»Und den Namen dieses Freundes wollen Sie natürlich nicht preisgeben, das sagten Sie ja bereits.«
»Ich kann nicht.«
»Gibt es jemanden, der die Geschichte, die Sie uns heute hier erzählt haben, bestätigen kann?«
»Einen Zeugen?«
»Ja, einen Zeugen.«
»Nein, es gibt niemanden. Außerdem bin ich jetzt seit fast einem Jahr im Gefängnis, ich weiß gar nicht, ob die Leute aus Neapel oder auch mein Freund aus Bari überhaupt noch in Italien sind.«
»Das heißt also, wir müssen uns auf Ihr Wort verlassen. Aber dass Sie an diesem Nachmittag oder Abend in Monopoli, beziehungsweise in Capitolo waren, können Sie ausschließen.«
»Nein.«
»Das können Sie nicht ausschließen?«
»Ich meine, ich war nicht dort. Als ich mit dem Abladen fertig war, bin ich in Bari geblieben. Am Strand wäre sowieso niemand mehr gewesen, dafür war es zu spät.«
»Sie behaupten also, an diesem Abend nicht in Monopoli gewesen zu sein. Können Sie uns dann erklären, wie Herr Renna – der Besitzer der Bar Maracaibo – darauf kommt, er habe Sie genau an jenem Abend, gegen 18 Uhr, an seiner Bar vorübergehen sehen? Hegen Sie vielleicht den Verdacht, dass Herr Renna nicht die Wahrheit sagt? Oder dass er irgendeinen Grund hat, Ihnen übel zu wollen?«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, dass er sich irrt. Vielleicht verwechselt er den Tag. Vielleicht hat er jemanden gesehen, der mir ähnlich sieht. Keine Ahnung. Ich bin an diesem Abend nicht in Capitolo gewesen.«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, ob Sie den Verdacht hegen, dass Herr Renna Grund hat, Ihnen übel zu wollen?«
»Das verstehe ich nicht. Was heißt übel wollen ?«
»Glauben Sie, dass Renna etwas gegen Sie hat? Beschuldigt er Sie zu Unrecht, weil er Ihnen schaden möchte?«
Ich wollte schon Einspruch erheben, aber Abdou kam mir zuvor und antwortete, und er antwortete gut.
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich habe nicht gesagt, dass er mich zu Unrecht beschuldigt . Ich weiß, dass er sich irrt, aber das ist etwas anderes. Zu Unrecht beschuldigen heißt, man weiß, dass man nicht die Wahrheit sagt. Er sagt etwas, das nicht wahr ist, aber ich glaube, er denkt, dass es wahr ist.«
»Sie haben in den Tagen nach dem 5. August Ihr Auto waschen lassen?«
»Ja, nach der Fahrt nach Neapel habe ich mein Auto irgendwann waschen lassen.«
»Warum?«
»Weil es schmutzig war.«
Mir schien, auf den Lippen einiger der Richter die Andeutung eines Lächelns erkennen zu können. Sicher nicht auf denen des Vorsitzenden, des Beisitzers, der hübschen Frau mit der ausdruckslosen Miene einer Mumie und des älteren Herrn mit dem Aussehen eines pensionierten Offiziers. Auch ich blieb sehr ernst. Desgleichen Cervellati, der seine Befragung noch ein paar Minuten fortsetzte, indem er Abdou zu den Fotos von dem kleinen Jungen und einigen anderen Dingen vernahm.
Der Anwalt der Nebenkläger stellte ebenfalls ein paar Fragen, um seine Anwesenheit zu demonstrieren, dann war ich an der Reihe.
»Herr Thiam, können Sie uns sagen, welche Tätigkeit Sie im Senegal ausübten?«
»Ich bin Grundschullehrer.«
»Wie viele Sprachen sprechen Sie?«
»Ich spreche wolof – meine Muttersprache -, Italienisch, Französisch und Englisch.«
»Warum sind Sie in unser Land
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