Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
Vom Netzwerk:
wenn es uns anhand dieser Daten gelänge, nachträglich festzustellen, wo sich der Mobilfunkbenützer an diesem Tag befand, und um welche Uhrzeit genau er sich dort befand, so könnte dies den Ausgang des Prozesses wesentlich beeinflussen. Abschließend möchte ich deshalb gemäß Paragraph 507 Strafprozessordnung beantragen, dass beim zuständigen Telefondienstanbieter, also der Telecom-Italia, die Daten des Fernsprechverkehrs angefordert werden, der am 5. August 1999 unter der Nummer 339-7134964 stattgefunden hat. Damit bin ich am Ende. Danke.«
    Der Vorsitzende sah mich noch ein paar Sekunden an, nachdem ich ausgesprochen hatte. Dann wollte er sich seinem Beisitzer zuwenden, schien sich aber im letzten Moment daran zu erinnern, dass sie vor ein paar Stunden miteinander gestritten hatten. Wenigstens glaubte ich, dass sie, aus welchem Grund auch immer, miteinander gestritten hatten. Tatsache ist, dass Zavoianni drauf und dran war, sich dem Richter zuzuwenden, dann aber plötzlich innehielt und zwar so brüsk, dass er die Sache überspielen musste, indem er den Kopf in die Hand stützte und ein nachdenkliches Gesicht machte. Er hatte wie ein Schauspieler in einer Posse gehandelt, und jetzt verharrte er ein paar Minuten in künstlicher Reglosigkeit. Dann wandte er sich an den Staatsanwalt.
    »Gibt es Einwände zu diesem Antrag des Verteidigers, Herr Staatsanwalt?«
    »Allerdings, Herr Vorsitzender, allerdings. Die Verteidigung fordert hier, ein Beweismittel zuzulassen, an dessen absoluter Notwendigkeit ich erhebliche Zweifel hege, mehr noch, das ich für irrelevant halte. Lassen Sie mich kurz erläutern, weshalb: Wer garantiert uns, dass Herr Thiam dieses Mobiltelefon am 5. August 1999 tatsächlich bei sich hatte? Im Augenblick seiner Festnahme hatte er es bei sich, das stimmt, beweist aber überhaupt nichts. Die Festnahme fand bekanntlich einige Tage nach dem Verbrechen statt, und Sie wissen, dass es in gewissen Kreisen – wie beispielsweise in der Dealerszene, der unser Angeklagter nach eigenen Angaben nahe steht, wenn nicht gar angehört – dass es also in solchen Kreisen durchaus üblich ist, Mobiltelefone auszutauschen, wie im Übrigen auch Waffen und Ähnliches mehr. Wenn sich aber nicht nachweisen lässt, dass Thiam am Tag der Entführung des Jungen tatsächlich über dieses Mobiltelefon verfügte, so hat der Beweis, den der Herr Verteidiger da einholen möchte, nicht die geringste Relevanz. Dem muss ich noch einen weiteren Einwand rein bürokratischer Natur hinzufügen. Paragraph 507 der Strafprozessordnung gestattet die Zulassung neuer Beweismittel nur, sofern sich dies im Laufe der Verhandlung als notwendig herausstellt. In diesem Fall hätte der Beweis aber gut vor Beginn der eigentlichen Verhandlung beantragt werden können, und es ist nicht einzusehen, weshalb der Verteidiger das nicht getan hat, ob aus Nachlässigkeit oder sonst einem Grund. In jedem Fall kommt der Antrag zu spät und ist auch unter diesem Aspekt abzulehnen.«
    »Möchte der Nebenkläger dazu Stellung nehmen?«, fragte der Vorsitzende.
    »Wir teilen die Ansicht der Staatsanwaltschaft.«
    »Herr Vorsitzender«, sagte ich, »gestatten Sie mir eine kurze Stellungnahme zu den Äußerungen der Anklage?«
    »Wie Sie wissen, Avvocato, ist das in dieser Phase nicht vorgesehen.«
    »Herr Vorsitzender...«
    »Sie haben gehört, was ich gesagt habe, Avvocato.«
    Mit diesen Worten stand Zavoianni auf, um sich ins Beratungszimmer zu begeben. Auch die Schöffen erhoben sich einer nach dem andern und folgten ihm. Nur der Beisitzer blieb auf seinem Platz. Ich hatte den Eindruck, er presse einen Moment lang die Lippen aufeinander. Dann stand auch er auf und zog sich als Letzter ins Beratungszimmer zurück.
     
    Wir warteten ewig. Für gewöhnlich entscheidet das Gericht direkt in der Verhandlung oder nach wenigen Minuten im Beratungszimmer, ob es einen zusätzlichen Beweisantrag zulässt oder nicht. Diesmal war es anders. Die Stunden vergingen und nichts passierte. Ich plauderte ein wenig mit dem Protokollführer, der sich nicht erklären konnte, was da los war. Ich sagte, ich würde es auch nicht verstehen, aber das war nicht wahr. Im Grunde wusste ich sehr wohl, warum das Gericht so lange im Beratungszimmer blieb – es hatte ein Schisma gegeben. Die Richter waren in zwei Parteien gespalten: eine, die Abdous Verurteilung bereits beschlossen hatte, und eine, die der Sache auf den Grund gehen wollte. Wenn erstere gewann und mein Antrag auf Einholung

Weitere Kostenlose Bücher