Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
gekommen?«
»Weil ich in meinem Land keine Zukunft sah.«
»Sind Sie illegal hier?«
»Nein, ich habe eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Zulassung als Straßenverkäufer. Allerdings habe ich auch gefälschte Ware verkauft. Das war das Illegale an meiner Tätigkeit hier.«
»Seit wann kannten Sie den kleinen Francesco – Ciccio?«
»Ich habe ihn vergangenen Sommer... nein, den Sommer davor kennen gelernt... 1998.«
»Warum hatten Sie ein Foto von dem Kind?«
»Er hat es mir geschenkt… wir beide waren Freunde. Wir haben uns oft unterhalten...«
»Wann hat er Ihnen das Bild geschenkt?«
»Letzten Sommer, im Juli. Ciccio wollte, dass ich das Foto als Andenken mitnehme, wenn ich nach Afrika zurückgehe. Ich sagte ihm, so schnell gehe ich nicht nach Afrika zurück, aber er wollte es mir trotzdem geben.«
»Wann wurde das Bild gemacht?«
»Am selben Tag. Ciccios Großvater hat mit einer Polaroidkamera Fotos gemacht und eins davon hat der Junge genommen und mir gegeben.«
»Jetzt würde ich gern noch zu etwas anderem kommen. Ich sehe, dass Sie sehr gut Italienisch sprechen. Deshalb möchte ich Sie etwas fragen. Können Sie uns sagen, was der Satz Ich verzichte ausdrücklich auf eine Verlängerung der Ladefrist bedeutet?«
»Nein, ich verstehe diesen Satz nicht.«
»Das ist merkwürdig, Herr Thiam, diesen Satz sollen Sie nämlich seinerzeit bei Ihrer Vernehmung durch den Staatsanwalt geäußert haben. Wollen Sie lesen?« Ich ging zu Abdou und zeigte ihm meine Kopie des Vernehmungsprotokolls. Der Staatsanwalt erhob wider Erwarten keinen Einspruch und blieb still sitzen.
Abdou las das Protokoll, wie wir es am vergangenen Freitag im Gefängnis vereinbart hatten. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich weiß nicht, was das heißt.«
»Verzeihung, Herr Thiam, Sie haben also nicht gesagt, dass Sie auf eine Verlängerung der Ladefrist verzichten, also der Frist, innerhalb der Sie dem Richter vorgeführt und verhört werden sollten?«
»Nein. Dieser Ausdruck sagt mir nichts.«
»Gut, vielleicht erinnern Sie sich nicht daran, denn schließlich haben Sie dieses Protokoll selbst unterschrieben.«
An dieser Stelle musste ich Halt machen. Die Botschaft war, wie mir schien, angekommen, wo sie ankommen sollte. Das Protokoll vom Verhör Abdous war sehr oberflächlich aufgenommen worden, das wusste jetzt auch das Gericht. Ich konnte das Thema wechseln und zum entscheidenden Punkt kommen.
»Herr Thiam, Sie sagten, dass Sie am 5. August in Neapel gewesen sind und dass es keine Zeugen gibt, die dies bestätigen könnten. Richtig?«
»Ja.«
»Besitzen Sie ein Mobiltelefon, ein Handy?«
»Ja, ich hatte eins. Bis ich festgenommen wurde. Da haben sie es mir weggenommen.«
»Natürlich, so ist es ja auch in den Akten vermerkt. Hatten Sie dieses Mobiltelefon dabei, als Sie nach Neapel gefahren sind?«
»Ja.«
»Wissen Sie noch, ob Sie an diesem Tag Telefongespräche geführt oder empfangen haben?«
»Ich glaube, ja. Ich erinnere mich nicht genau, aber ich glaube schon.«
»Können Sie uns sagen, welche Nummer dieses Mobiltelefon hat?«
»Ja. Die Nummer ist 339-7134964.«
»Ich bin fertig, Herr Vorsitzender, danke.«
Der Staatsanwalt hatte keine weiteren Fragen und beantragte die Aufnahme des Protokolls, aus dem er zitiert hatte, zu den Akten. Ich erhob keinen Einspruch. Der Vorsitzende meinte, in etwa einer halben Stunde müssten wir unsere zusätzlichen Beweisanträge stellen, falls wir welche hatten. Das Gericht würde über Annahme oder Ablehnung entscheiden und danach würden wir gemeinsam den weiteren Verlauf besprechen.
Aber zuerst einmal brauchte ich dringend einen Kaffee und eine Zigarette.
13
D ie Bar des Gerichtsgebäudes war im Stil der siebziger Jahre eingerichtet. Ich nahm meinen Espresso am Tresen zu mir und setzte mich dann allein an ein Tischchen, um eine halbe Stunde lang an gar nichts zu denken und mit niemandem zu sprechen.
Ich zündete mir eine Zigarette an und betrachtete die Leute, die ein- und ausgingen. In aller Ruhe.
Irgendwann kam eine elegante Dame herein, die braun gebrannt und mit Schmuck behangen war und ganz danach aussah, als würde sie einen Großteil ihrer Zeit in Fitnessstudios und Kosmetiksalons verbringen. Sie wollte offensichtlich zur Theke gehen, doch da erblickte sie mich und blieb stehen. Ein leichtes Lächeln kräuselte ihre Lippen, während sie in meine Richtung sah, erwartungsvoll, als müsse ich irgendwie reagieren. Ich schaute nach rechts und links, um sicherzugehen,
Weitere Kostenlose Bücher