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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Jahren geboxt hatte, gab es seit langem nicht mehr. Der Trainer war gestorben. Ich suchte mit Hilfe der Gelben Seiten und entdeckte, dass die Stadt voll war von Clubs und Vereinen, die japanische, thailändische, koreanische, chinesische, sogar vietnamesische Kampfsportarten anboten. Die Auswahl war ungeheuer: Judo, Jiu-Jitsu, Aikido, Karate, Thai Boxen, Taekwondo, Tai Chi Chuan, Wing Chun, Kendo, Viet Vo Dao.
    Von Boxen keine Spur, aber so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben. Also rief ich bei der örtlichen Niederlassung des Olympischen Komitees an und fragte, ob es in Bari Sportvereine gäbe, die Boxen anboten. Der Angestellte war freundlich und wusste Bescheid. Ja, es gebe in Bari zwei Boxclubs; einem hatte die Stadt ein paar Räume im neuen Fußballstadion verpachtet, der andere durfte die Turnhalle einer Realschule mitbenützen, die nur ein paar hundert Meter von meiner Wohnung entfernt war.
    Ich ging mir den zweiten ansehen und entdeckte, dass ich den Trainer kannte, es war einer aus der alten Boxschule, Pino. An den Nachnamen konnte ich mich natürlich nicht einmal entfernt mehr erinnern. Pino hatte angefangen, in unserem Keller zu boxen, kurz, bevor ich gegangen war. Er war ein Schwergewicht mit wenig Technik, aber knallharten Fäusten; er hatte es auch als Profi versucht, jedoch ohne großen Erfolg. Jetzt ging er verschiedenen Jobs nach – Boxtrainer, Rausschmeißer in Diskotheken, Leiter des Ordnungsdienstes bei Konzerten, Megapartys und sonstigen Spektakeln.
    Er freute sich, mich wieder zu sehen, klar konnte ich mich einschreiben, ich war sein Gast, Zahlen kam nicht in Frage. Davon abgesehen war es immer nützlich, einen Rechtsanwalt zur Hand zu haben.
    Ab der darauf folgenden Woche verließ ich jeden Montag und Donnerstag Punkt halb sieben das Büro, war um sieben im Verein und trainierte dort fast zwei Stunden lang.
    Damit ging es mir ein wenig besser. Nicht gut, aber ein wenig besser. Ich sprang Seil, machte Kniebeugen, Liegestützen, trainierte am Sandsack und boxte mit Jungs, die zwanzig Jahre jünger waren als ich.
    An manchen Abenden schlief ich von alleine ein, ohne Pillen; an anderen nicht.
    In manchen Nächten brachte ich es sogar auf fünf, sechs Stunden Schlaf am Stück.
    Mitunter ging ich mit Freunden aus und fühlte mich beinahe wohl.
    Das Problem mit dem Weinen war nicht aus der Welt, aber ich hatte es jetzt wenigstens im Griff.
    Aufzüge mied ich nach wie vor, aber das war nun wirklich kein großes Problem und fiel auch keinem auf.
    Die Weihnachtsferien überstand ich nahezu unbeschadet, obwohl ich an einem Tag, dem 29. oder 30. Dezember, im Zentrum Sara auf der Straße sah. Sie war mit einer Freundin unterwegs und mit einem Typen, den ich noch nie gesehen hatte. Nichts sprach dagegen, dass es sich um den Verlobten ihrer Freundin handelte oder um einen Verwandten oder um einen schwulen Freund. Aber für mich stand vom ersten Augenblick an fest, dass dieser Mann Saras neuer Lebensgefährte war.
    Wir winkten uns von den gegenüberliegenden Gehwegen aus zu. Ich ging noch etwa zehn Meter weiter, als ich merkte, dass ich nicht mehr atmete. Mein Zwerchfell war blockiert. Ich spürte eine Art Hitzewelle in mir emporsteigen, sie überrollte mich von den Füßen bis zum Gesicht, ja bis in die Haarwurzeln. Mein Gehirn setzte mehrere Minuten aus.
    Danach hatte ich den ganzen Tag über Atemnot, und in der Nacht machte ich kein Auge zu.
    Aber auch das ging vorbei.
    Nach den Weihnachtsferien begann ich wieder ein wenig zu arbeiten. Irgendwie war ich mir der Katastrophe bewusst geworden, die meine Kanzlei und vor allem meine ahnungslosen Klienten zu ereilen drohte, und so gab ich mir einen Ruck und versuchte, die Situation wenigstens annähernd unter Kontrolle zu bekommen.
    Ich bereitete die Prozesse vor, hörte meinen Klienten – zumindest ein bisschen – mehr zu, achtete wieder darauf, was meine Sekretärin zu mir sagte.
    Langsam und ruckartig, wie ein kaputter Motor, setzte sich die Zeit für mich wieder in Bewegung.

Zweiter Teil

1
    E s war an einem Februarnachmittag, aber es war nicht kalt. Es war den ganzen Winter über nie richtig kalt gewesen.
    Ich ging an der Bar unter meiner Kanzlei vorbei, ohne einzutreten, weil ich mich schämte, einen koffeinfreien Kaffee zu verlangen. Stattdessen ging ich in eine schmuddelige Bar fünf Häuserblocks weiter.
    Seit ich an Schlaflosigkeit litt, trank ich nachmittags keinen normalen Kaffee mehr. Ich hatte es ein paar Mal mit Malzkaffee versucht,

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