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Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht

Titel: Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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Minuten gesagt haben. Die Fahnder wollen diesen entsetzlichen Fall lösen. Sie haben dafür die allerbesten Gründe und Vorsätze. Sie wollen um jeden Preis für Gerechtigkeit sorgen, und das so schnell wie möglich – der Täter soll so wenig Zeit wie möglich auf freiem Fuße sein, nicht noch mehr Unheil anrichten können. In dieser Gemütsverfassung entdecken sie eine Spur und stoßen auf einen möglichen Verdacht. Vorsicht. Ich rede nicht von Phantasien oder völlig aus der Luft gegriffenen Hypothesen. Es ist eine gute Spur, und der Verdacht gegen Abdou Thiam scheint plausibel. Anhand dieser viel versprechenden Spur beginnen die Ermittler nun ihre Jagd auf den mutmaßlich Schuldigen.
    Ab diesem Augenblick haben Carabinieri und Staatsanwaltschaft eine Hypothese, die – wie Einstein uns lehrt – bestimmt, was sie beobachten, wie sie mit den Zeugen umgehen, was sie sie fragen, wie sie die Dinge zu Protokoll bringen. Dies alles in dem guten Glauben, das Richtige zu tun und so für Gerechtigkeit zu sorgen.
    Sie verstehen jetzt auch, warum ich vom Maresciallo wissen wollte, wie er das Protokoll aufgenommen hat. Denn wenn ich eine Zeugenvernehmung vollständig protokolliere, also mit Tonbandaufnahme, wörtlicher Mitschrift oder Ähnlichem, stellt sich hinterher nicht das Problem, was sich während der Anhörung wirklich abgespielt hat. Es ist ja alles festgehalten – Fragen, Antworten, Sprechpausen, alles – und man braucht bloß die Aufnahme anzuhören oder die Transkription zu lesen. Ist der Zeuge von Seiten der Ermittler ungewollt beeinflusst worden, kann man das ganz einfach nachlesen. Und danach zieht jeder seine eigenen Rückschlüsse.
    Wenn es sich bei dem Protokoll aber lediglich um eine Zusammenfassung handelt, so ist dies nicht möglich. Und wenn dieses Inhaltsprotokoll dann auch noch ausgerechnet den ersten Kontakt zwischen den Ermittlern und dem Zeugen behandelt, dann ist die Gefahr einer unbewussten Verwässerung der Aussagen, auch der Erinnerungen des Zeugen, wirklich sehr hoch.
    Soll ich Ihnen das mit einem kurzen Beispiel illustrieren?
    Ich bin der Ermittler und habe einen Zeugen vor mir, den ich für sehr wichtig, wenn nicht gar entscheidend erachte. Und ich hege einen starken Verdacht gegen eine bestimmte Person, Abdou Thiam.
    Ich frage den Zeugen: Kennen Sie Abdou Thiam? Der Name sagt mir nichts, wenn Sie mir vielleicht ein Foto zeigen. Hier ist ein Foto, erkennen Sie den Mann? Ja, ja. Das ist einer von den Negern , die sich oft vor meine Bar aufhalten. Sie machen eine Menge Ärger. Haben Sie den Mann am Tag, als der Junge verschwand, an Ihrer Bar vorbeigehen sehen?
    Pause des Zeugen, der über die Frage nachdenkt. Die Ermittler wähnen sich der Lösung nahe.
    Überlegen Sie genau: der Abend, als das Kind verschwand. Vor einer Woche.
    Ich glaube, ja. Ja, da ist einer vorbeigekommen, Das muss er gewesen sein.
    An diesem Punkt lässt der Ermittler protokollieren, weil er die Sache festhalten möchte, bevor der Zeuge noch einmal seine Meinung ändert. Was leider häufig vorkommt. Er diktiert dem Protokollführer, was er in den Computer eingeben soll, und er benützt dabei nicht die Ausdrucksweise des Zeugen, sondern seine eigene, bürokratische Amtssprache.«
    Ich zog Rennas erstes Protokoll aus meinen Akten und begann zu lesen.
    »In dem besagten Protokoll finden sich Ausdrücke wie ›beim Betreiben vorgenannten Gaststättenbetriebs werde ich unterstützt...‹ et cetera. So drückt sich der Zeuge Renna selbstverständlich nicht aus. Und natürlich wissen wir auch nicht, welche Fragen ihm gestellt wurden. Wir wissen es nicht, weil in dem Protokoll auf die bequeme, bürokratische Formel ›auf die Frage antwortend‹ zurückgegriffen wird. Was heißt das: ›auf die Frage antwortend‹? Welche Fragen wurden dem Zeugen gestellt? Waren es Fragen, die ihn beeinflusst haben? Waren es Fragen, die eine Antwort suggerierten? Waren es Fragen, mit denen ungewollt eine Erinnerung konstruiert wurde?
    Dazu braucht es keine böse Absicht. Eine Hypothese, die bestätigt sein will, reicht völlig aus. Unser Gehirn macht alles selbst; indem es entsprechend mit den Fakten umgeht, sie entsprechend wahrnimmt, entsprechend auswertet und entsprechend verbalisiert, passt es sie der Hypothese an. Und erschafft, ja, ich würde sagen, setzt eine falsche Erinnerung zusammen.
    Falsch, nicht weil Renna etwas erfunden hat oder die Carabinieri ihm absichtlich eine falsche Geschichte untergeschoben haben, nein. Rennas

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