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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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mir zu. Keiner zeigte sich verwundert über mein Erscheinen, meine Krawatte, meine graue Anwaltskluft.
    Tonino nahm einen Stuhl, der an der Wand lehnte, klappte ihn auf und stellte ihn neben seinen. Dann holte er eine Flasche Bier aus dem Kasten, öffnete sie und reichte sie mir.
    »Setzen Sie sich, Avvocato. Trinken Sie ein Bier mit uns.«
    Ich nahm die Flasche, setzte sie an und trank sie auf einen Zug halb leer. Das gefiel Tonino, man sah es ihm an. So trank ein Mann. Ich überlegte mir, dass ich vielleicht besser die Krawatte auszog. Während ich das tat, sah mich um.
    Der Raum war klein und kahl; der Straßenseite gegenüber eine verwitterte Holztür, an den verdreckten Wänden nichts als zwei Fußballposter: eins davon zeigte einen AC Bari aus besseren Zeiten, das andere den spielenden Roberto Baggio im Trikot der Nationalmannschaft.
    Ich leerte meine Flasche in zwei weiteren Zügen. Tonino machte noch eine auf und gab sie mir.
    »Können Sie Bierkloppen, Avvocato?«
    Ich nahm einen kräftigen Schluck von meiner zweiten Flasche und warf einen Blick auf die roten Marlboro, die auf dem Tisch lagen. Es juckte mich in den Fingern, und ich weiß nicht, was mich davon abhielt, mir eine zu nehmen. Eigentlich weiß ich noch nicht mal, wieso ich überhaupt mit dem Rauchen aufgehört habe.
    Ich sah Tonino an.
    »Bierkloppen? So ungefähr. Während meiner Militärzeit habe ich es manchmal gespielt, mit Jungs aus Iapigia und San Pasquale.«
    »Dann spielen Sie doch mit. Es macht nichts, dass Sie erst jetzt einsteigen.«
    Glänzende Idee. Wir saßen praktisch auf der Straße. Es konnte jeden Moment ein Bekannter vorbeikommen und mich ohne Krawatte in der VIP-Lounge des Viertels hocken sehen; mir dabei zuschauen, wie ich Bier soff, rülpste und über Spielzüge diskutierte oder stritt. Am Ende kam es womöglich noch zu einer schönen Schlägerei, dann flog bestimmt auch das ein oder andere Messer, und mit ein bisschen Glück konnte ich die Nacht in einer Ausnüchterungszelle der Carabinieri oder des Polizeipräsidiums verbringen. Und damit schloss sich dann der Kreis.
    »Gut, spielen wir«, erwiderte ich mit einem wohligen Schauer und dachte dabei: Wen juckt’s, verdammt noch mal.
    Wir spielten an die zwei Stunden. Ich leerte unzählige Bierflaschen und ging, als alle gingen. Und wie alle war auch ich sturzbetrunken. Trotzdem fühlte ich mich frei und leicht.
    Beim Abschied waren alle sehr nett zu mir. Fast schon herzlich. Es war, als hätte ich ein Aufnahmeritual brillant bestanden. Ein Typ mit einem Bauch, der beinahe zu dick war, um echt zu sein, umarmte mich sogar und küsste mich auf die Wangen. Er roch nach Bier, Rauch und Schweiß, und sein Bauch fühlte sich an wie ein Gummiball.
    »Du bist echt stark, Avvocat’«, sagte er, bevor er sich umdrehte und davontorkelte.
    Auch ich torkelte davon, und irgendwo auf dem Heimweg begann ich sogar zu singen. Ich sang alte Lieder aus den siebziger Jahren und dachte, dass in dem allem, was mir in letzter Zeit passierte, doch ein Sinn liegen müsse.
    Welcher, fand ich zum Glück nicht heraus. Dazu war ich viel zu betrunken.

29
    B evor ich den Verhandlungssaal des Berufungsgerichts betrat, warf ich einen Blick auf den Zettel an der Tür, auf dem sämtliche Prozesse dieses Vormittags aufgelistet waren.
    Wie immer handelte es sich zum Großteil um Bagatellen – kleine Diebstähle, Verstöße gegen die Bauordnung, Hehlerei; kurz, Kleinkram, den der Vorsitzende mit einer Geschwindigkeit von einem Prozess pro Minute abhaken würde, wobei er jeden, der auch nur ein Wort zu viel sagte – und das konnte bereits das zweite oder dritte Wort überhaupt sein -, mit bösen Blicken strafte, egal ob Verteidiger oder Staatsanwalt.
    Mein Prozess war, wie es schien, der einzige mit einem inhaftierten Angeklagten, und diese Prozesse hatten in der Regel Vorrang. In der Regel, sage ich, denn praktisch machte jeder, was ihm passte.
    Es war neun Uhr dreißig. Theoretisch hätte die Verhandlung jetzt beginnen müssen, aber natürlich war außer mir keiner da. Und ich war nur deshalb pünktlich erschienen, weil ich verlassene Gerichtssäle mag; in einem leeren Gerichtssaal sitzen, ohne etwas zu tun, hilft mir, mich zu konzentrieren. Ich mag diese erwartungsvolle Stimmung. Genau wie frühmorgens, wenn du auf die menschenleere Straße hinausgehst. Du setzt dich in eine Bar am Meer, trinkst einen Kaffee oder einen Cappuccino und wartest. Die Straßen beleben sich nach und nach, und du bist durchdrungen

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