Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
hervorschießen und mich packen konnte. Gestank nach Moder und Dieselöl. Gedämpfte, bedrohlich wirkende Geräusche. Dreckige Wände, von denen die Farbe abblätterte. Das Gefühl, dass die normalen Gesetze hier unten außer Kraft gesetzt waren. Dass jetzt andere, unbekannte Gesetze herrschten, die mir Angst machten.
Ich hatte daran gedacht, dass wir nur wenige Meter von der so genannten normalen Welt entfernt waren, und mich gefragt, mit wie vielen solcher unheimlichen, unterirdischen Welten ich in meinem Leben wohl noch in Berührung kommen würde.
Diese Erfahrung war nicht besonders angenehm, und erst als mich die vertraute Schäbigkeit des Gerichtssaals wiederhatte, ging es mir etwas besser.
Die Vollzugsbeamten brachten Paolicelli in den für »gefährliche« Angeklagte vorgesehenen Käfig und nahmen ihm dann durch die Gitterstäbe die Handschellen ab. Ich ging zu ihm hinüber, gab ihm die Hand und fragte ihn, wie vorgesehen, ob wir uns hinsichtlich des Procedere weiterhin einig seien. Er meinte, ja, das seien wir, und da der Vorsitzende im selben Moment meinte, wir könnten anfangen, kehrte ich an meinen Platz zurück. Während ich mir die Robe umhängte und die Eröffnungsformalien begannen, dachte ich an Natsu, an das Kind, an den Spaziergang im Park. An das, was danach passiert war.
Der Vorsitzende selbst hielt den einleitenden Vortrag und er brauchte nicht mehr als fünf Minuten dafür. Dann wandte er sich mir und dem Staatsanwalt zu und fragte, ob es etwa Anträge auf Strafmilderung gäbe.
Montaruli öffnete kaum merkbar die Hände und schüttelte leicht den Kopf. Ich stand auf und zupfte mir die Robe auf der Schulter zurecht.
»Nein, Herr Vorsitzender. Wir stellen keinen Antrag auf Strafmilderung. Allerdings möchte ich ein paar andere Anträge stellen – Anträge auf eine teilweise Wiedereröffnung der Beweisaufnahme.«
Mirenghi runzelte die Stirn. Girardi schaute von der Akte auf, die er gerade durchblätterte. Russo suchte die bequemste Stellung, um einschlafen zu können, und ließ nicht erkennen, dass er etwas gehört hatte.
»Herr Paolicelli hat sich aufgrund einer fragwürdigen Verteidigungsstrategie seines damaligen Anwalts nie zur Vernehmung bereit erklärt. Wir sind heute der Ansicht, dass dies ein Irrtum war. Wir sind der Ansicht, dass es unerlässlich ist, dem Gericht die Version des Beschuldigten zu unterbreiten, und zwar sowohl hinsichtlich der Tatsachen, die Gegenstand der Anklage sind, als auch hinsichtlich einiger Vorkommnisse, die sich später zugetragen haben. Aus diesem Grund und in derselben Beweisabsicht beantragen wir, dass auch Frau Natsu Kawabata, die Ehefrau des Beschuldigten, als Zeugin vernommen wird.«
Ich legte eine kurze Pause ein. Der Vorsitzende und Girardi hörten mir zu. Russo sank immer mehr zur Seite. So weit lief alles planmäßig.
»Außer den Anträgen auf Vernehmung des Angeklagten und auf Anhörung seiner Frau als Zeugin möchten wir aber noch einen weiteren Antrag stellen. Es fällt mir nicht leicht, diesen Antrag zu formulieren, und Sie werden gleich erfahren, warum. In den vergangenen Tagen hat mein Mandant mir einige wichtige Elemente mitgeteilt, die im Zusammenhang mit seinem vorherigen Verteidiger stehen, mit der Beziehung, die er zu ihm hatte, und insbesondere mit dem Inhalt einiger Gespräche, die zwischen ihnen stattfanden. Wie Herr Paolicelli mir berichtet hat – und natürlich auch dem Gericht im Augenblick seiner Vernehmung berichten wird -, gab sein ehemaliger Verteidiger ihm zu verstehen, er kenne die wahren Täter, also Rauschgiftschmuggler, an deren Stelle er, Paolicelli, zunächst festgenommen und später verurteilt wurde. Die ungeheure Tragweite dieser Information liegt auf der Hand. Natürlich muss ihr Wahrheitsgehalt sorgfältig überprüft werden, das versteht sich von selbst. Und es versteht sich auch von selbst, dass wir uns diese Information, um sie entsprechend bewerten zu können, noch einmal beim Informanten selbst einholen müssen. Ich beantrage aus diesem Grund, dass Rechtsanwalt Macrì als Zeuge gehört wird.
Ich bitte zu entschuldigen, dass der Antrag auf Wiedereröffnung der Beweisaufnahme in der Berufungsschrift noch nicht enthalten ist, da diese ja noch vom vorhergehenden Verteidiger verfasst wurde, im Zuge einer gänzlich anderen Verteidigungsstrategie. In jedem Fall handelt es sich um Auflagen des Ermittlungsverfahrens, die gemäß § 603, Absatz 3, Ital.StPO und des darin enthaltenen Paradigmas von Amts wegen
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