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Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre

Titel: Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gianrico Carofiglio
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das Magazzini d’oltremare , wo ich Leute getroffen hätte, die mich fragten, was ich denn so trieb, wo ich die ganze Zeit gesteckt hätte, warum Margherita nicht mitgekommen sei usw.
    Bisweilen kam es vor, dass ich jemanden kennenlernte, und dann brachte ich ein paar Stunden damit zu, mir die Geschichten eines oder einer Unbekannten anzuhören. Ich bewegte mich in einem völlig fremden Bereich meines Bewusstseins. Ich verglich diesen Zustand mit einem Schwarz-Weiß-Film, der von Green Day mit Boulevard of broken dreams dramatisch untermalt wurde. Ich hörte diesen Song häufig und hatte ihn während meiner nächtlichen Spaziergänge ständig im Kopf; er verfolgte mich geradezu.
    Einmal lernte ich in einer kleinen Bar in der Altstadt ein Mädchen kennen. Lara. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, eher klein, hatte ein schönes, unebenmäßiges Gesicht und fiebrig glänzende Augen, die hochmütig in die Welt blickten. Sie arbeitete als wissenschaftliche Assistentin am Seminar für deutsche Literatur, sprach vier Sprachen, war gerade von ihrem Freund verlassen worden und fest entschlossen, sich zu betrinken. Während sie systematisch einen Wodka nach dem andern kippte, erzählte sie mir von diesem Freund, von sich, von ihrer Kindheit, vom Tod der Mutter. Die Atmosphäre in der Bar hatte etwas Irreales.
    Eine Handvoll Gäste, die sich beinahe flüsternd unterhielten, eine Stereoanlage, die gedämpft Dvořáks Symphonie aus der neuen Welt verbreitete und über allem ein zarter Zimtduft, dessen Herkunft mir nicht klar war.
    Irgendwann bat Lara mich, sie nach Hause zu begleiten. Ich stimmte zu und bezahlte die Rechnung: einen Wodka für mich, fünf für sie. Wir durchquerten die Stadt zu Fuß bis nach Madonella, wo sie wohnte.
    Madonella ist ein seltsames Stadtviertel. Dicht nebeneinander gibt es dort wunderschöne Stadthäuser und scheußliche Mietskasernen, Milliardärsvillen und Baracken, in denen Drogenhändler und andere Bewohner der Unterwelt hausen. In manchen Ecken von Madonella hast du das Gefühl, anderswo zu sein.
    In Tanger oder Marseille oder in Casablanca. Anderswo eben.
    Vor dem Portal ihres Hauses fragte Lara mich, ob ich nach oben kommen wolle. Ich meinte nein, danke. Ein anderes Mal vielleicht, fügte ich noch hinzu. In einem anderen Leben, dachte ich. Sie sah mich einen Moment lang verwundert an und begann zu weinen – nicht wegen meiner höflichen Ablehnung natürlich. In einer Anwandlung längst vergessener Rührung umarmte ich sie, und sie umarmte mich und weinte jetzt noch heftiger, schluchzte richtiggehend.
    Ciao, sagte sie dann schnell, löste sich von mir und verschwand im Eingang des Hauses. Auf Nimmerwiedersehen, sagte ich ein paar Sekunden später zu dem alten Holzportal und zu der menschenleeren Straße.

26
    D er schwierigste Tag seit Margheritas Abreise war immer der Sonntag. Ich ging aus, ich las, oder ich fuhr mit dem Auto ins Blaue und aß dann alleine in irgendeinem Restaurant, wo mich keiner kannte. Nachmittags ging ich meist ins Kino und vertrieb mir anschließend die Zeit in der Feltrinelli-Buchhandlung. Abends war ich gewöhnlich zu Hause und las. Nachts ging ich häufig noch einmal aus, manchmal auch noch einmal ins Kino.
    Es war an einem Sonntagmorgen – einem herrlichen, kalten Morgen mit gleißender Sonne, drei Tage vor Prozessbeginn -, als ich der Versuchung nicht länger widerstehen konnte und Natsu anrief.
    »Guido!«
    »... ciao. Ich wollte nur...«
    »Wie schön, dass du anrufst! Wollen wir uns nicht sehen?«
    Es gibt Menschen, vor allem Frauen, die unglaublich spontan sind, dir frei heraus sagen, was sie denken und was sie wollen. Wie ich sie um diese Fähigkeit beneide. Ich habe das noch nie gekonnt, bin mir immer fehl am Platze vorgekommen. Wie ein Eindringling, der in ein Fest platzt, auf dem alle wissen, wie man sich benimmt, alle außer ihm.
    »Gern. Sehr gern sogar.«
    Funkstille. Wenn du mich schon so gern sehen möchtest – dachte sie wohl, zu Recht -, könntest du dich auch ein bisschen anstrengen und einen Vorschlag machen; schließlich bist du es, der angerufen hat. Irgendwann gab sie nach. Vermutlich war sie zu dem Schluss gekommen, ich sei ein hoffnungsloser Fall.
    »Hast du gesehen, wie schön es draußen ist? Ich glaube, ich gehe mit der Kleinen in den Park. Komm doch mit.«
    »In welchen Park? Den am Largo Due Giugno?«
    »Ja. Passt es dir in einer Stunde am See?«
    Ja, es passte mir in einer Stunde am See. Ciao, bis gleich. Ciao.
    Ich zog mich an wie

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