Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
irgendwas kommt und mich von diesem Irren erlöst. Ich werde immer meinen Spinat aufessen, ich werde keine Schimpfwörter mehr sagen, und ich werde auch im Religionsunterricht keine Stinkbomben mehr legen.
Diesmal wurde ich erhört. Castellanos Handy klingelte, und er entfernte sich, um ungestört zu reden.
Ein paar Minuten später – es war inzwischen fast zehn – kam der Staatsanwalt in den Gerichtssaal.
Montaruli – einer, der sein Handwerk verstand. Vor seiner Versetzung an die Generalstaatsanwaltschaft hatte er viele Jahre an vorderster Front gekämpft und als Staatsanwalt Hunderte von Verbrechern – gewöhnliche und solche mit weißer Weste – hinter Gitter gebracht. Einige waren von mir verteidigt worden.
Eine Stelle, an der man es nicht allzu lange aushält. Irgendwann kommen alle Staatsanwälte an den kritischen Punkt, wo ihnen klar wird, dass sie genug haben. Auch er war so weit gekommen und hatte deshalb irgendwann um die fünfzig beschlossen, sich an der Generalstaatsanwaltschaft zu erholen. Eine Behörde, in der man sich nicht gerade zu Tode arbeitet, gelinde gesagt.
Ich erhob mich, um ihn zu begrüßen.
»Guten Morgen, Herr Staatsanwalt.«
»Guten Morgen, Herr Verteidiger. Wie geht es Ihnen?«
»Mir ausgezeichnet. Aber mein Mandant ist übel dran.«
»Wie heißt Ihr Mandant?«
»Paolicelli. Der mit dem Rauschgift aus Montenegro.«
Montaruli machte ein viel sagendes Gesicht. Dann ist Ihr Mandant tatsächlich übel dran, sollte das heißen. Ich stellte sicherlich einen Antrag auf Strafmilderung? Ach, nein? Jetzt verriet sein Gesicht eine gewisse Neugier. Was ich denn dann vorhätte, wollte er wissen, mit einem Prozess, der so aussichtslos sei. Nach kurzem Zögern sagte ich ihm, was ich vorhatte, nur das ein oder andere Detail ließ ich aus. Ich erzählte ihm, dass Paolicelli beteuerte, unschuldig zu sein und die Tat von irgendjemandem angehängt bekommen zu haben, dass ich ihm glaubte und deshalb versuchen wollte, einen Freispruch zu erwirken.
Montaruli hörte mir höflich zu und redete erst wieder, als ich fertig war.
»Wenn Ihr Mandant die Wahrheit sagt, ist es wirklich schlecht um ihn bestellt. Und ich wäre nicht gerne an der Stelle seines Anwalts.«
Ich wollte ihm schon erwidern, dass ich das sehr gut nachempfinden könne, aber in diesem Moment ertönte die Glocke: Das Gemurmel im Saal verstummte. Die Richter traten ein.
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B ei den drei Richtern, die ein zweites Mal die Glocke läuten ließen, bevor sie den Saal betraten, handelte es sich um ein reiferes Kollegium, um es mal so auszudrücken. Der jüngste unter ihnen – Girardi – hatte die sechzig überschritten, und dem Vorsitzenden – Mirenghi – fehlte noch knapp ein Jahr bis zur Pensionierung.
Der dritte – Russo – war dafür bekannt, wenige Minuten nach Beginn der Verhandlung einzuschlafen und erst wieder zu erwachen, wenn alles vorbei war. In meiner persönlichen Richter-Hitparade nahm er nicht gerade eine Spitzenposition ein.
Dennoch waren die drei aus meiner Sicht weder gut noch schlecht. Sie waren in erster Linie Richter, die keine Scherereien wollten, aber es gab Schlimmeres beim Berufungsgericht. Auch Besseres, um ehrlich zu sein, aber im Großen und Ganzen konnte ich mich nicht beklagen.
Die Anträge auf Vertagung waren rasch erledigt, ebenso die Vergleiche, einschließlich des Antrags meines Kollegen Castellano. Danach fragte der Vorsitzende die Protokollführerin, ob die Vollzugsbeamten mit dem Angeklagten Paolicelli schon eingetroffen seien. Die Protokollführerin bejahte; Paolicelli sei bereits eingetroffen und warte im Haftraum.
Die Hafträume befinden sich im Kellergeschoss des Gerichtsgebäudes.
Wenn ich dieses Wort höre, muss ich immer daran denken, wie ich einmal, ein einziges Mal, dort unten war. Wegen eines Mandanten, der mich vor Beginn der Verhandlung unbedingt noch einmal sprechen wollte. Der Staatsanwalt hatte mir gestattet, mit einigen Vollzugsbeamten nach unten zu gehen. Es stellte sich heraus, dass mein Mandant, der an mehreren Raubüberfällen beteiligt gewesen war, sich dazu durchgerungen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten; bevor er jedoch endgültig das Lager wechselte, wollte er mich noch um Rat fragen.
Ich erinnere mich deutlich an diese unterirdische Welt. An den Flur mit dem defekten Neonlicht, das ständig blinkte. An die Zellen, die auf beiden Seiten abgingen und aussahen wie die Käfige von Legebatterien. Albtraumhafte Schlünde, aus denen jeden Moment eine Klaue
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