Guido Guerrieri 03 - Das Gesetz der Ehre
verhandeln und den Schaden begrenzen, alles andere ist sinnlos. Ich riskiere bloß, dass sie mich zum zweiten Mal verurteilen, und dann komme ich weiß Gott wann hier raus.«
»Nun ja, ganz so schlimm ist es nicht. Aber sicher, die Dinge liegen nun mal, wie sie liegen. Mit einem Vergleich wären Sie in ein paar Jahren auf freiem Fuß oder zumindest im halboffenen Vollzug.«
»In den letzten Wochen konnte ich es kaum erwarten, dass der Prozess beginnt; ich hatte nicht die geringsten Zweifel. Und jetzt habe ich panische Angst. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich tun soll. Was soll ich bloß tun?«
Ach, tut mir leid, aber das darfst du mich nicht fragen. Als Fachmann muss ich neutral bleiben; ich kläre dich über die verschiedenen Möglichkeiten auf, die es aus technischer Sicht gibt; ich male dir die möglichen Ergebnisse aus. Aber die Entscheidung als solche liegt ganz allein bei dir. Dafür kann ich keine Verantwortung übernehmen.
Diesen ganzen Blödsinn sagte ich nicht. Ich schwieg nur ein paar Sekunden, bevor ich ihm antwortete. Und als ich es dann tat, hörten sich meine Stimme und meine Worte fremd für mich an.
»Ich würde sagen: Lassen Sie uns den Prozess versuchen. Wenn das nicht Ihre Drogen waren – und das glaube ich Ihnen -, ist es ungerecht, dass Sie im Gefängnis sitzen. Dann müssen wir mit allen Mitteln versuchen, Sie hier rauszuholen. Wenn dieses Rauschgift doch Ihnen gehörte, sollten Sie mir das spätestens jetzt sagen. Ich bin nicht Ihr Richter – sagen Sie es mir, und wir handeln morgen das bestmögliche Strafmaß aus.«
Paolicelli sah mich an. Ich erwiderte seinen Blick und hatte den Eindruck, dass seine Augen glänzten.
»Wir ziehen den Prozess durch.«
Das war alles.
Ich erklärte ihm kurz, was am nächsten Tag passieren würde, und sagte ihm, dass die Vernehmung erst in der darauffolgenden Sitzung stattfinden würde. Dann wollte ich wissen, ob er noch Fragen hätte, aber er hatte, Gott sei Dank, keine. Also verabschiedete ich mich – wir sehen uns morgen vor Gericht – und ging.
Als ich aus dem Gefängnis trat, wollte ich das Handy einschalten. Doch ich überlegte es mir anders. Besser, ich ging jedem Risiko, jeder Versuchung aus dem Weg, wenigstens für diesen Abend. So weit das jetzt noch etwas nutzte.
28
A ls ich heimkam, hatte ich nicht einmal Lust, auf meinen Boxsack einzudreschen; deshalb machte ich mir nur rasch ein belegtes Brot, aß es und ging, ohne mich auch nur umzuziehen, wieder aus dem Haus.
Ich streifte ziellos durch die Straßen und fand mich wenig später im Stadtteil Libertà wieder. Eine Gegend, mit der ich viele Erinnerungen verband, alte Geschichten und eine Phase meines Lebens, so um die zwanzig, als die Dinge noch einfacher ausgesehen hatten.
In Gedanken versunken blieb ich vor der Tür einer Art von Verein stehen. Aus dem Innern drangen Stimmen, die Dialekt sprachen. Sieben, acht Männer saßen um einen Tisch. Sie redeten, einer lauter als der andere, und gestikulierten, einer wilder als der andere. Auf dem Boden neben ihnen standen zwei Kästen Peroni-Bier.
Die Männer spielten um das Bier. Oder um den Fachausdruck zu verwenden: Sie kloppten Bier . Ein Mittelding zwischen Spiel und Stammesritual, für das man einen Satz neapolitanischer Karten und etliche Flaschen Bier benötigt.
»Avvocato!«
Tonino Lopez. Ein im ganzen Viertel bekannter Hehler mit einem Vorstrafenregister wie ein Telefonbuch. Seit zehn Jahren mein Mandant.
Offiziell war Tonino Obst- und Gemüsehändler. Wenn er gerade mal nicht einsaß, übte er diesen Beruf auch aus, und da ich ihm – aus unerfindlichen Gründen – sympathisch war, schickte er mir alle zwei, drei Monate eine Kiste Obst, Artischocken oder eine Dose eingelegte Oliven und manchmal auch zwei Flaschen hausgekelterten Wein. Ich rief ihn jedes Mal in seinem Laden an, um mich zu bedanken, und bekam jedes Mal dieselbe Antwort, unfehlbar.
»Zu Ihren Diensten, Avvocato . Stets zu Ihren Diensten.«
Tonino erhob sich von seinem hölzernen Klappstuhl, kam auf mich zu und gab mir die Hand.
»Wir sind beim Bierkloppen, Avvocato . Möchten Sie sich nicht dazusetzen?«
Ich zögerte keine Sekunde, dankte und trat ein. Der Raum war erfüllt von Alkoholschwaden, Rauch und allerlei menschlichen Gerüchen; die Luft war zum Schneiden. Lopez stellte mich den andern vor. Die meisten Gesichter kannte ich, entweder aus den Straßen des Viertels oder aus den Korridoren des Gerichts. Einige sagten guten Abend, andere nickten
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